INTRO

(SPIEGELANSCHRIFT)

Russen geht nach Hause!

Die 56-jährige Ljudmila Rasumowa wurde unter dem Artikel „Falschinformationen über die russische Armee“ und durch politischen Hass motiviertem Vandalismus zu sieben Jahren im Gefängnis verurteilt. Den Ermittlungen zufolge hinterließen Ljudmila und ihr Ehemann Antikriegs-Graffiti und die Aufschriften „Putin ist Krieg“ und „Ukraine, vergib uns“ in Dörfern und Städten in der Region Twer.

Gegen die 29-jährige Viktoria Petrowa wurde ein Strafverfahren eingeleitet, weil sie in den sozialen Medien „Falschinformationen“ über die russische Armee verbreitet hat.

Gegen Anna Bazhutova wurde ein Strafverfahren wegen „Falschinformationen“ über die russische Armee eingeleitet. Sie las die Erinnerungen von Einwohnern der ukrainischen Stadt Bucha über das Leben unter russischer Besatzung vor.
Sie zitierte die Geschichte einer Frau, die sagte, sie sei eine Woche lang von einem russischen Soldaten vergewaltigt worden, und nachdem sie sich geweigert habe, mit ihm nach Russland zu gehen, habe er ihre Mutter getötet. Anna drohen bis zu 8 Jahre Gefängnis.

 

- Begrabt und erhebt euch, sprengt die Ketten, bespritzt euren Willen mit dem bösen Blut des Feindes!  - 
Die 18-jährige Darya Kozyreva wurde verhaftet, weil sie ein Gedicht von Taras Schewtschenko auf das Denkmal des Dichters geklebt hatte. Gegen das Mädchen wurde ein Strafverfahren wegen „Diskreditierung“ der russischen Armee eingeleitet. Ihr drohen bis zu 5 Jahre Gefängnis.
„Ich bin eine Patriotin, und zwar eine Patriotin im richtigen Sinne. Nicht in dem Sinne, wie ihn die Propagandist*innen darstellen. Ich hoffe, dass sich alles ändern wird. Die Geduld des Volkes ist nicht ewig, und eines Tages, so glaube ich, wird das Volk diese Pflastersteine aufheben und gegen diese Schurken vorgehen, die sich als Könige aufspielen. Und niemandem, der an diesem Blutbad schuldig ist und der für das Böse, das jetzt geschieht, verantwortlich ist, wird es gut gehen. Kein Übel ist ewig und jede Nacht wird eines Tages enden. Und auch diese Nacht wird enden.“
- Darya Kozyreva

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Pavel Kushnir ist ein 39-jähriger Pianist, der wegen Antikriegsvideos inhaftiert wurde. Er betrieb einen Kanal im Namen des FBI-Agenten Fex Mulder aus der Serie X-FILES. Er forderte ein Ende des Krieges.

ICH WILL GLAUBEN
Ein konsequenter Gegner des Regimes. Beteiligte sich an den Protesten. Er verurteilte die Annexion der Krim.
Am 27. Juli 2024 starb Pavel im Gefängnis nach einem langen Hungerstreik, den er gegen den Krieg ausgerufen hatte. Den Hungerstreik hatte er lange vor seiner Verhaftung begonnen.
Menschen, die an seiner Beerdigung teilnahmen, berichteten, dass er blaue Flecken im Gesicht hatte. 

Zum Gedenken an den Pianisten werden hier 24 Präludien von Rachmaninow gespielt, die von Kushnir aufgeführt wurden.

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Einleitung

Was folgt, ist eine chronologische Präsentation von mehr als zehn Jahren Protestaktionen des feministischen aktivistischen Künstler*innen-Kollektivs Pussy Riot, das 2011 in Moskau gegründet wurde. Seitdem protestieren sie gegen das Regime von Wladimir Putin.

Die Ausstellung konzentriert sich auf die künstlerischen Proteste von Pussy Riot in Russland, gesammelt und präsentiert von Pussy Riot-Mitglied Maria Aljochina. Sie zeigt die gewaltfreien Aktionen der Gruppe sowie die Reaktionen des zunehmend autoritären Regimes.

Aus der Perspektive von Pussy Riot betrachtet, bietet die Ausstellung einen Einblick in die Entwicklung des Putin-Russlands in den letzten zehn Jahren bis hin zum brutalen Krieg gegen die Ukraine. Punk, Humor und Farben sind zentrale Werkzeuge von Pussy Riots Arbeitsweise und Ästhetik. Dies ist die bisher größte Präsentation der Arbeiten der Gruppe und die erste institutionelle Ausstellung in Deutschland, die Pussy Riot gewidmet ist.

Die Ausstellung wurde in Zusammenarbeit mit Kling & Bang, Reykjavík, realisiert.

PISS  [PISSE] 

Ort
Reykjavík

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FREE THE COBBLESTONES, 2011
[BEFREIT DIE PFLASTERSTEINE]

Ort
Moskauer U-Bahn-Station und Dach eines Oberleitungsbusses

Kontext
Die Wahlen stehen vor der Tür. Die Straßen Moskaus sind neu gepflastert. Bürgermeister Sobyanin hat für das Verlegen der neuen Pflastersteine Millionen von Rubel veruntreut. Das Befreien der Pflastersteine sollte nach den besten revolutionären Traditionen geschehen, indem die Steine für ihren vorgesehenen Zweck verwendet werden.

→ Es ist nichts Ernstes passiert

 

FUCK YOU, FUCKING SEXISTS AND FUCKING PUTINISTS, 2011
[FICKT EUCH, VERFICKETE SEXISTEN UND VERFICKTE PUTINISTEN]

Ort
Verschiedene Orte, Moskau

Kontext
Im Vorfeld der Wahlen am 4. Dezember veröffentlichten wir ein Musikvideo zu unserem Lied Kropotkin-Vodka, in dem wir zu einem Staatsstreich in Russland aufrufen. Unsere Auftritte umfassten Brandstiftungen und eine Reihe musikalischer Hausbesetzungen  glamouröser Veranstaltungsorte in der Hauptstadt. Die Konzerte fanden an Orten statt, an denen sich wohlhabende Putin-Anhänger*innen in Moskauer Boutiquen, bei Modenschauen, in elitären Autos und auf den Dächern von Kreml-zugehörigen Bars versammelten.

→ Es ist nichts Ernstes passiert

 

DEATH TO PRISON, FREEDOM TO PROTEST, 2011
[TOD DEM GEFÄNGNIS, FREIHEIT DEM PROTEST]

Ort
Haftzentrum Nr. 1 Moskau

Kontext
Pussy Riot trat auf dem Dach der Sonderhaftanstalt Nr. 1 auf, in dem diejenigen festgehalten wurden, die infolge der Protestkundgebungen Anfang Dezember nach den Wahlen zur Staatsduma verhaftet worden waren.

Wir führten das Lied „Death to Prison, Freedom to Protest“ auf, in dem wir zur friedlichen Besetzung von Plätzen und zur Freilassung politischer Gefangener aus den Gefängnissen aufrufen.

→ Es ist nichts Ernstes passiert

 

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(Gelbes Band im Gang) JEDER KANN PUSSY RIOT SEIN

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PUTIN PEED HIS PANTS, 2012 
[PUTIN HAT SICH IN DIE HOSEN GEPINKELT]

Ort
Lobnoye Mesto, Roter Platz, Moskau

Kontext
Putin kündigte an, dass er für eine dritte Amtszeit als Präsident kandidieren würde.

Der magische Winter 2011. Die Schneerevolution. Was werden sie in den Geschichtsbüchern darüber schreiben? Werden sie es überhaupt erwähnen? Was wird daraus – wird es der Beginn einer größeren Revolution sein, die noch bevorsteht? Wir wurden von dem Glauben an die Möglichkeit des Wandels geleitet.

In diesem Winter beschlossen der kleine graue KGB-Agent Putin und ein aufgeblasener, spielfigurenartiger Medwedew, die Plätze zu tauschen: Premierminister gegen Präsident. Sie fälschten die Ergebnisse der Duma-Wahlen.

Wir glaubten, dass wenn wir ihm mit einer Nadel in den Hintern stechen würden, würde Putin aus seinem Präsidentensitz springen. Er würde aufspringen und zur Hölle rennen. Seine fleischigen, botoxgefüllten Wangen würden auf die Hügel zusteuern und in den Müllhaufen der Geschichte rollen.

BEREITET EUCH VOR!

Im Januar begannen wir in einer alten Fabrik zu proben. Nach einer Weile waren die Sicherheitsleute nicht mehr überrascht, uns zu sehen. Oh, diese Mädchen sind wieder da. Sie tragen seltsam gefärbte Strumpfhosen, einige tragen Kopfbedeckungen. Russland ist sowieso ein komischer Ort. Man braucht mindestens einen Monat Probezeit, um eine Aktion auf die Beine zu stellen. Wenn man live geht, hat man nur einen Versuch. Du gehst durch eine große Halle in einer alten Fabrik, stellst eine Leiter auf. Man klettert am Fenster hoch, eine nach der anderen. Ruft ein Lied 30, 40 Mal hintereinander

IHR KÖNNT EUCH UNS NICHT VORSTELLEN

FÜR FREIHEIT – DEINE UND MEINE

→ Danach schnappte uns die Polizei wegen Hausfriedensbruchs. Wir erzählten ihnen, wir seien Schauspielstudierende. Wir sagten, dass wir ein Stück inszeniert und beschlossen hätten, am Lobnoye Mesto zu proben. Wir gaben ihnen falsche Namen. Eigentlich waren es echte Namen, nur nicht unsere eigenen. Sie hatten 'Putin Peed His Pants' nicht gehört. Wir verbrachten vier Stunden auf der Polizeiwache und wurden ohne Anklage freigelassen.

 

Früher wurden auf dem Lobnoye Mesto Menschen hingerichtet. Auf dem Lobnoye Mesto gibt es eine runde Steinplattform, die wie ein Scharfrichterblock aussieht. Sie ist von Steinmauern umgeben, die etwa sechs Fuß hoch sind. Sie sieht wie ein großes, in zwei Hälften geschnittenes Fass aus. Drinnen können etwa dreißig Menschen Platz finden. Sie befindet sich dem Roten Platz, direkt gegenüber dem Kreml. Der Zar verlas hier Erlasse – Ukase – und erklärte Kriege. 1968 bestiegen acht Dissident*innen das Lobnoye Mesto, um gegen die Invasion der Tschechoslowakei zu protestieren.

Es war ein beispielloser Protest im sowjetischen Russland. Die Behörden reagierten mit Gefängnisstrafen und erzwungener psychiatrischer Behandlung.

Wir entrollten eine violette Fahne: Das Venusspiegelsymbol, eine geballte Faust in der Mitte. Wir waren acht, wie die acht Dissidenten 1968.

 

Du stehst auf den Steinmauern, und es scheint, als würdest du jeden Moment fallen. Du darfst dich nicht fallen lassen, weil es kein zweites Mal geben wird. Wir, Pussy Riot, gingen auf den Platz, weil wir von einer anderen Geschichte träumten. Weil diejenige, in der der Präsident zum Kaiser wurde, nicht die war, die wir uns wünschten. Wir waren es leid, die Lügen zu hören. Die unaufhörlichen, düsteren Lügen, die im Fernsehen verbreitet werden – die endlosen, grundlosen Versprechen eines glücklichen Lebens.

EIN LANGES UND GLÜCKLICHES LEBEN

Aufruhr ist immer eine Sache der Schönheit.

So begann ich mich zu interessieren. In der Schule hatte ich diesen Traum, Graffiti-Künstlerin zu werden, und ich übte Graffiti in meinem Schulheft. Wenn man seine Schulaufgaben auf der ersten Seite beginnt und die Skizzen hinten macht, treffen sich die beiden irgendwann in der Mitte.

UND, NEBEN DEINEN GESCHICHTEN NOTIZEN, TAUCHT GRAFFITI AUF

was die Geschichte in eine andere Geschichte verwandelt.

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LIKE IN A RED PRISON, 2013
[WIE IN EINEM ROTEN GEFÄNGNIS]

Das moderne Russland wird mit einem "Roten Gefängnis" verglichen. Igor Setschin, Präsident von Rosneft und einer der einflussreichsten Beamten*innen im Staat, fungiert als der wichtigste "Pate".

Kontext
Das Ziel des Prozesses und der Inhaftierung von Nadia Tolokonnikova und Maria Alyokhina war es, die Aktivitäten der Punkband zu stoppen. Deshalb ist es wichtig, dass wir den Kampf fortsetzen, um Pussy Riot dabei zu helfen, den Staat zu bezwingen .

Wir haben auf den Punkt gebracht, warum unsere Freund*innen in Käfigen sitzen, Putin und seine Freund*innen aber nicht. Für die Aufführung des Songs "Like in a Red Prison" sind wir zum ersten Mal aus Moskau ausgebrochen und haben eine gesamtrussische Tournee gemacht, bei der wir die Öleinrichtungen des Landes beschlagnahmt haben. Im letzten Jahr beliefen sich die Einnahmen aus dem Öl- und Gasbudget auf 7 Billionen Rubel, aber nur Putin und einige seiner Freund*innen sehen diese 7 Billionen Rubel. Deshalb haben wir beschlossen, die Ölförderung selbst in die Hand zu nehmen und den Öl- und Gasarbeiter*innen unser neues Lied über das rote Gefängnis vorzusingen.

→ Es ist nichts Ernstes passiert.

 

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(Grüne Wand rechts davon)

Ein grüner wattierter Mantel
Vom Besprechungsraum aus wurde ich zur Laderampe geführt, einem abgetrennten Streifen zwischen den riesigen rostigen Eingangstoren zur Zone und den Ausgangstoren, die nach draußen führen. Dante hätte diesen Bereich als "Vorhölle" bezeichnet. Aber es ist keine Vorhölle, sondern nur ein stinkender, fünf Meter langer Streifen, auf dem Lastwagen be- und entladen werden. Ein schwarzer Wolga wartete dort auf mich. Noch nie war jemand in einem Regierungsauto aus der Kolonie gebracht worden. 'Steig ein', sagte der/die Leiter*in der Einheit.

Schwarzer Wolga
Stell dir vor, wir hätten die Macht, unsere eigene Zukunft zu treffen. Wir würden ein Feuerwerk an den Steinmauern der Kolonie veranstalten, den Zug mit wenigen Minuten Verspätung erreichen, die Gefängnistagebücher unangetastet zurücklassen, in Moskau aus dem Zug steigen und von einem überfüllten Bahnsteig empfangen werden; wir würden durch die Menge der Journalist*innen mit weißen Rosen laufen.

Was kommt als Nächstes?
'Was ist dein Traum, Mascha?', fragte das Mädchen. Sie war erst neunzehn, saß aber eine lange Strafe ab, etwa sechs Jahre. Für den Verkauf von Drogen. Sie schenkte mir eine Haarspange, eine Krabbe mit blauen Steinen. Wir haben im Norden geraucht. Putin hatte ein Dekret unterzeichnet, das eine Amnestie anordnete. Er unterzeichnete die Amnestie, um vor den Olympischen Spielen in Sotschi das Gesicht im Westen zu wahren. Ein Exemplar der Zeitung mit dem veröffentlichten Präsidialdekret wurde von einem Gefangenen zum nächsten weitergereicht.

Ich möchte eine Reise um die Welt machen", sagte ein Mädchen. „Ich möchte zum Mond fliegen", sagte ein anderes.

Und das Mädchen sagte: "Ich möchte im Rahmen der Amnestie freigelassen werden. Ich möchte mein Kind sehen. Das ist mein größter Wunsch.

Sie wurde nicht im Rahmen der Amnestie freigelassen. Nadia und ich wurden freigelassen. Nadia und ich und drei weitere Frauen. Fünf Frauen aus dem größten Land der Welt. Alle brauchten diese Amnestie, nur ich nicht.

VIP-Amnestie
Große, schwarze, kindliche Augen. Für sie war ich eine Heldin in einem Märchen.
'Ich möchte ein Buch schreiben', sagte ich. Werde ich darin vorkommen?", fragte sie. 'Auf jeden Fall.'

Freiheit gibt es nur, wenn man jeden Tag für sie kämpft. Und ich fahre in einem Auto, das immer schneller wird.

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PUNK PRAYER, 2012
[PUNK GEBET]

Kontext
Putin bereitet sich auf eine dritte Amtszeit vor. Der Patriarch fährt auf einer 680.000-Dollar-Yacht. Die Machtinstitutionen, die herrschende Partei und die Kirche sind Diener des Zaren. Man kann in Russland keinen Erfolg erzielen, wenn man nicht im System verstrickt ist. Aber man kann die Werte ändern, das System ändern.

ÄNDERE DAS SYSTEM

Wir Feminist*innen werden ein Punk-Gebet am Altar vortragen, weil Frauen nicht an ihn herantreten dürfen. Die Muttergottes würde zum Beispiel nicht an den Altar herantreten, wenn sie in der Kathedrale wäre.

Nach dem Treffen zwischen Putin und dem Patriarchen war dieser bereit, die Kirche zu nutzen, um jegliche  Rolle zu unterstützen, die der Präsident einnehmen könnte. Er beschloss, die Kirche Putin zur Verfügung zu stellen, sie ihm zu Füßen zu legen. Putin zu einem Halbgott zu machen, nicht nur zu einem Regierungsbeamten. Seine Heiligkeit lobte die vergangenen zwölf Jahre von Putins Herrschaft als „Wunder Gottes“.

Wir probten lange. Jeden Tag etwa einen Monat lang. In einer Kunstgalerie, umgeben von einem großen Park mit Bänken.

PUSSY RIOT KIRCHE

→  Ein Strafverfahren wurde gegen uns eingeleitet. Wir wurden wegen Rowdytums angeklagt, begangen aus religiösem Hass und Feindseligkeit. Gefängnisstrafen: Nadya Tolokonnikova, Maria Aljochina, 2 Jahre Gefängnis/Strafkolonie; Jekaterina Samuzewitsch, 8 Monate Gefängnis

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BURN THE WITCHES

„Lasst Pussy Riot nicht in die Kirche“ war der Name eines Spiels, welches auf dem orthodoxen F.A.Q Festival präsentiert wurde. Die Teilnehmer riefen dazu auf, gegen provokative Künstler*innen zu kämpfen, die die Gefühle von gläubigen Menschen verletzen. Die Aufgabe der Spieler*innen ist es, Figuren die Baklavas tragen davon abzuhalten, in die Kirche zu rennen.

 

PUNK PRAYER TRIAL, 2012 
[PUNK-GEBETS-PROZESS]

Aquarium
Unser Käfig im Gerichtssaal wird "das Aquarium" genannt. Er ist aus Glas und steht in der Mitte des Gerichtssaals im dritten Stock. In dem Käfig gibt es kein Mikrofon. Du hörst und sprichst durch einen schmalen Schlitz im Panzerglas.

'Erhebt euch! Das Gericht tagt!", verkündet ein Gerichtsdiener und alle stehen auf.

Kugelsicher
Die Angeklagten stellen eine Gefahr für die Gesellschaft dar und könnten die Ermittlungen der Justiz stören.
Aus diesem Grund müssen sie während der Verhandlung in Gewahrsam genommen werden.
Ein Hund erbricht am Eingang zum Gerichtssaal; der/die Richter*in tritt über die Pfütze. 

Aktion
Staatsanwalt: 'Den Angeklagten wird Rowdytum vorgeworfen, begangen aus Gründen des religiösen Hasses und der Feindschaft, aus Gründen des Hasses gegenüber einer sozialen Gruppe, begangen von einer Reihe von Personen, die sich gemeinsam verschworen haben.'

Eitergefüllte Orgie
'. . so sollten sie den Namen der Band ins Russische übersetzen, beginnt der Zeuge. Unsere Unterstützer*innen im Gerichtssaal versuchen, nicht zu lachen. 'Aber es ist mehr als eine Band, es ist eine ganze Bewegung.
Ugrik, der Immobilienmakler, hat das 'Punk Prayer' im Internet gesehen und daraus geschlossen, dass wir Satan anbeten.
Deshalb ist er jetzt ein Zeuge im Pussy Riot-Prozess. Er trägt ein zerknittertes Polyesterhemd.
Der/Die Richter*in versucht herauszufinden, ob Ugrik am 21. Februar in der Kirche anwesend war.

'Warst du am 21. Februar in der Kirche?'

'Nein, aber ich habe das Video gesehen. Ich war entsetzt - die Mädchen waren auf dem direkten Weg in die Hölle. Ich hatte das Gefühl, sie wussten nicht, was sie taten. Für einen Christen sind Himmel und Hölle so real und offensichtlich wie die Moskauer Metro.‘

Fährst du direkt in die Hölle?

 

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Sprechblasen der Talking Heads:

Larissa Pavlova, Anwältin des Opfers:
Feminismus ist eine Todsünde, da er ein unnatürlicher Ausdruck ist, der mit dem Leben verbunden ist.

Gennadi Sjuganow, Chef der Kommunistischen Partei:
Über nationale Symbole kann man keine Witze machen. Ich würde einen guten Gürtel nehmen und sie damit auspeitschen.

Kiryll Gundyayev, Patriarch:
Unser Land hat keine Zukunft, wenn die Form des politischen Protests die Verspottung von Heiligtümern ist. Es schmerzt mich zu sehen, wie Menschen, die sich selbst als orthodox bezeichnen können, anfangen, Pussy Riot zu rechtfertigen.

Artem Ranchenkov, Kriminalbeamter:
Der Kern der Sache ist, dass sie echte Revolutionär*innen und Dämonen sind, die den Zustand der Strukturen verändern wollen.

Dimitri Medwedew, Premierminister:
Ich bin angewidert von dem, was sie getan haben, von ihrem Auftreten und von der Hysterie um alles, was passiert ist.

Dimitry Smirnov, Vorsitzender der synodalen Abteilung des Moskauer Patriarchats für das Zusammenspiel mit den Streitkräften:
Sie sind keine Mädchen, sondern Kreaturen. Ich würde ihnen ihre Kinder wegnehmen.

Erzpriester Vsavolod Chaplin, Leiter der synodalen Abteilung für die Beziehungen zwischen Kirche und Gesellschaft des Moskauer Patriarchats:
Sie sollten im Gefängnis sitzen, weil sie die Gefühle der Gläubigen beleidigt haben. Wir, die orthodoxen Christen, sind herausgefordert worden. Diese Herausforderung ist grob, unverschämt und aggressiv.

Maxim Schewtschenko, Propagandist. Veröffentlicht auf der Website von "Einiges Russland":
Das spuckt auf die Seelen der überwältigenden Mehrheit der russischen Bevölkerung.

Tichon Schewkunow, Bischof der russisch-orthodoxen Kirche, Putins Beichtvater:
All das sind natürlich nicht nur Rowdytum und auch keine banalen antiklerikalen Aktionen, als die manche es darstellen wollen. Das ist eine neue Realität unseres Lebens - 'VELVET TERRORISMUS'.

Putin, Präsident:
Das Gericht hat ihnen zwei Jahre aufgebrummt. Ich hatte nichts damit zu tun.

 

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HUNGER STRIKE, 2013
[HUNGERSTREIK]

Kontext
Ich werde in den Hungerstreik treten. Das ist eine extreme Methode, aber ich bin überzeugt, dass das mein einziger Ausweg aus meiner derzeitigen Situation ist.
Die Verwaltung der Strafkolonie weigert sich, mich anzuhören. Ich wiederum weigere mich, von meinen Forderungen abzurücken. Ich werde nicht schweigen und resigniert zusehen, wie meine Mitgefangenen unter der Last der sklavenähnlichen Bedingungen zusammenbrechen. Ich verlange, dass die Verwaltung der Kolonie die Menschenrechte respektiert; ich verlange, dass das Lager Mordovia in Übereinstimmung mit dem Gesetz agiert. Ich verlange, dass wir wie menschliche Wesen und nicht wie Sklav*innen behandelt werden.
Vor einem Jahr bin ich in der Strafkolonie Nr. 19 angekommen.
Mordovia begrüßte mich mit den Worten des stellvertretenden Leiters der Strafkolonie, Oberstleutnant Kupriyanow, der de facto der Hauptverwalter unserer Kolonie ist. „Sie sollten wissen, dass ich, wenn es um Politik geht, ein Stalinist bin.“
Meine Brigade in der Nähwerkstatt arbeitet 16 bis 17 Stunden am Tag. Von 7.30 Uhr morgens bis 12.30 Uhr. Im besten Fall bekommen wir vier Stunden Schlaf pro Nacht. Alle anderthalb Monate haben wir einen Tag frei. Wir arbeiten fast jeden Sonntag. Die Gefangenen stellen Anträge auf Wochenendarbeit „aus eigenem Antrieb“. In Wirklichkeit gibt es natürlich keinen Wunsch, von dem man sprechen könnte, denn diese Anträge werden auf Anweisung der Verwaltung und unter dem Druck der Gefangenen geschrieben.
Zur Aufrechterhaltung von Disziplin und Gehorsam gibt es ein weit verbreitetes System inoffizieller Bestrafungen. Die Häftlinge werden gezwungen, „bis zum Tageslicht in der Lokalka (einem umzäunten Durchgang zwischen zwei Bereichen des Lagers) zu bleiben“
(der Gefangenen ist es verboten, die Baracken zu betreten. Sei es im Herbst oder im Winter. In der zweiten Brigade, die aus Behinderten und älteren Menschen besteht, erlitt eine Frau  nach einem Tag in Lokalka so schwere Erfrierungen, dass ihr die Finger und ein Fuß amputiert werden mussten); „Verlust von Hygieneprivilegien“ (der Gefangenen ist es verboten, sich zu waschen oder die Toilette zu benutzen); “Verlust der Kommissariats- und Teestubenprivilegien (der Gefangenen ist es verboten, ihr eigenes Essen zu essen und Getränke zu trinken. Es ist sowohl lustig als auch beängstigend, wenn eine 40-jährige Frau zu dir sagt: „Sieht aus, als würden wir heute bestraft werden! Ich frage mich, ob wir morgen auch noch bestraft werden. „Sie darf die Nähwerkstatt nicht verlassen, um zu pinkeln oder ein Bonbon aus ihrer Handtasche zu holen. Das ist verboten.
Die schikanierte und schmutzige Gefangene denkt nur an Schlaf und einen Schluck Tee und wird zum gehorsamen Wachs in den Händen der Verwaltung, die uns nur als kostenlose Sklavenarbeiter*innen sieht. So betrug mein Gehalt im Juni 2013 29 (29!) Rubel (57 P) für den Monat. Unsere Brigade näht 150 Polizeiuniformen pro Tag. Wo geht das Geld hin, das sie dafür bekommen?

 

PRISON TRIALS, 2012 
[GERICHTSVERFAHREN]

Kontext
Du musst dir Dinge ausdenken, um wach zu bleiben: Binde ein Bündel Zigaretten mit einem Faden zusammen (die Schachteln selbst sind verboten; sie werden bei Durchsuchungen weggeworfen und die Zigaretten werden in eine große Tüte gekippt). Lege Streichhölzer zurück in eine Schachtel. Nähe Namensschilder in deine  Uniform ein. Mache eine Liste mit deinen Habseligkeiten. All das, damit du nicht einschläfst. Schlafen ist ein Verstoß gegen die Regeln. Ein fehlendes oder schlecht befestigtes Namensschild ist ein Verstoß. Eine bei der Kontrolle aufgeknöpfte Jacke ist ein Verstoß.

VERSTOß  VERSTOß  VERSTOß  VERSTOß

FÜR DIE, DIE KEINE RECHTE HABEN

Ich habe zwei Verstöße wegen Verschlafens in meiner Akte. Meine Betreuerin sagt, dass sie mich vor eine Disziplinarkommission bringen und mich bestrafen werden. Sie spricht scharf und spuckt die Worte aus.

Gegen das Reglement verstoßen?

Und wenn ich ihre Autorität akzeptiere, indem ich den Lügen über den Verstoß gegen das Regime zustimme, würde ich mich ebenfalls unterwerfen. Ich würde mich für ein Verbrechen schuldig bekennen, das ich nicht begangen habe. Solche Momente der Entscheidung, die du im Gefängnis triffst, werden dich für den Rest deines Lebens begleiten. Diese Entscheidungen werden zu den wichtigsten, die du je getroffen hast. Denn du kannst nichts vergessen, was du hier innerhalb der Gefängnismauern tust. Wenn du dich einmal verraten hast, und sei es nur ein einziges Mal, kannst du nicht mehr aufhören. Du wirst ein anderer Mensch, ein Fremde für dich. Du wirst eine Gefangene. Und das bedeutet, dass du besiegt worden bist. Sie haben dich dann wirklich deiner Freiheit beraubt.

Wer einen Schritt zurückweicht, gibt eine ganze Meile auf.

„Ich werde dich vor Gericht bringen", sage ich.

Du kannst deine Beschwerden an den/die Staatsanwalt*in schicken.Das Gericht wird sie nicht berücksichtigen", sagt der Major abweisend.

Die Wachen lachen alle.

Einige Monate später gewinne ich den ersten Prozess gegen die Wärter*innen in der Geschichte dieser Strafkolonie.

Ich bin zum Gericht gekommen für all diejenigen, die keine Rechte haben, für all diejenigen, die keine Stimme haben, für diejenigen, die von denen, die die Macht dazu haben, ihrer Stimme beraubt werden.

- Erklärung vor dem Gericht, 7. Februar 2013

 

FÜR DIE, DIE KEINE RECHTE HABEN

Ort
Strafkolonie #28 - Stadt Berezniki, Uralgebirge

Kontext
Ein großer Saal im Club der Wärter. In diesem Saal hält die Disziplinarkommission ihre Sitzungen ab und bestraft die Gefangenen. Er ist getäfelt, mit Stuhlreihen und einem Eichentisch. Ein Raum, der den Wärtern diente, wurde in einen Gerichtssaal umgewandelt, in dem die Wärter*innen jetzt vor Gericht gestellt werden.

Ich habe eine Anwältin und einen Anwalt , die an meinem Fall gegen die Strafkolonie arbeiten. Meine zierliche und lebhafte blonde Anwältin, Oksana Darova, und Alexander Podrabinek, der Dissident aus der Sowjetzeit, der uns in Moskau versteckt hat. Der/Die Richter*in hat mir die Anwesenheit im Gerichtssaal verweigert, also mache ich eine Videokonferenz vom Saal aus. Das bedeutet, dass zum ersten Mal teure Geräte in der Kolonie installiert wurden - Monitore und Mikrofone -, damit ich mich an das Gericht wenden kann, um zu erfahren, wie meine Rechte verletzt werden.

Verhandlung in einem Wächterclub

Ich stehe auf. Ich schaue auf den Bildschirm. Das Gesicht des/der Richter*in ist in Pixel zerlegt. Der weiße Zopf von Einheit Nr. 11 Nikolaeva ist in Pixel zerlegt; die fleischigen Wangen von Major Ignatov sind in Pixel zerlegt. Der Gerichtssaal in Beresniki ist in Pixel zerbrochen. Ich sage:

"Ich kann Sie nicht richtig sehen, Euer Ehren.
Sie erscheinen nur als eine schwarze Silhouette.'

Eine mechanische Stimme aus einem kleinen Lautsprecher antwortet, mit vielen Störungen:

'Setz dich, Aljoschina. Du wurdest noch nicht aufgefordert, zu sprechen.'

Nachdem die Gerichtsverhandlung vorbei ist, winken mir meine Freunde von zu Hause durch die Gerichtskamera zu. Sie sagen: "Lächeln! Sie sagen: "Wir haben gewonnen, Mascha!

'Schau in diese Richtung! Winke uns zu!'

→ Wir haben drei von vier Fällen gegen die Gefängnisverwaltung gewonnen.

 

PENAL COLONY, 2012-2013
[STRAFKOLONIE]

Kontext
Die Republik der Sträflinge... ...ist das, was man die Perm-Region nennt. Hier befanden sich die Lager des Gulag und die letzten Lager der sowjetischen Dissident*innen. Totale Isolation, handverlesene Gefängniswärter*innen, raues Klima im Norden.

Ort
Standort für Maria

Strafkolonie #28 - Stadt Berezkniki, Uralgebirge

Strafkolonie Nr. 2 - Nizniy Novgorod

Ort
Standort für Nadya

Strafkolonie Nr. 2 - Region Mordowien

'Wohin? Wohin bringst du mich?
Das wirst du herausfinden, wenn du dort bist.

Das ist ihr Trick - das Unbekannte. Das ist ihre Methode - sie wollen dir Angst machen. Sie wollen damit zeigen, dass du nur ein Körper bist.

 

Ich kam nach einem Monat in der Strafkolonie an
Der November im Ural ist kalt und wild

Die Gefangenen in den Strafkolonien leben in Baracken mit 80-100 Menschen in einem Raum. Sie nennen das eine "Einheit". Normalerweise gibt es nur drei Toiletten in den Einheiten und kein warmes Wasser. Einmal in der Woche wird gebadet.

In Russland ist es gesetzlich vorgeschrieben, dass alle Gefangenen in den Kolonien arbeiten müssen. Sie arbeiten 8 bis 12 Stunden am Tag, sechs Tage in der Woche und nähen meist Polizeiuniformen und Uniformen für die Armee. Als Lohn erhalten die Gefangenen 5 bis 7 Euro pro Monat. Das ist legalisierte Sklaverei. Bei Beschwerden oder Unstimmigkeiten mit dem System wird der/die Gefangene aus der Einheit in Einzelhaft gesteckt.

 

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PUTIN LIGHTS THE FIRES OF REVOLUTION, 2012
[PUTIN ENTZÜNDET DIE FEUER DER REVOLUTION]

Kontext
Am Tag unseres Urteils schrieben unsere Kollegen das Lied „Putin entzündet die Feuer der Revolution“ und führten es vor dem Gericht auf.

→ Fast 60 Menschen wurden festgenommen

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PUTIN WILL TEACH YOU HOW TO LOVE THE MOTHERLAND, 2014
[PUTIN WIRD DIR BEIBRINGEN, WIE MAN DAS MUTTERLAND LIEBT]

 

1. Wir haben beschlossen - wir fliegen zu den Olympischen Spielen nach Sotschi, um das Video "Putin Will Teach You to Love the Motherland" zu drehen.

2. Drei Tage vor dem Ende der Spiele sind wir uns sicher, dass niemand von uns Sotschi erreichen wird. Jeder wird verhaftet werden.

3. Wir fliegen mit einem großen Team von 12 Personen auf vier verschiedenen Flügen nach Sotschi. Wenn sie uns schon am Eingang der Stadt verhaften, haben wenigstens einige von uns eine Chance, dorthin zu gelangen.

4. Es ist bekannt, dass während der Olympischen Spiele mehr Mitarbeiter*innen des russischen FSB in Sotschi sind als einheimische Einwohner*innen. Hot Dogs im Brötchen werden von einer Verkäuferin serviert, deren Rang nicht niedriger ist als der eines Leutnants der Staatssicherheit.

5. Verlassen des Flughafens. Wir zünden uns Zigaretten an, während Nadya ein paar Meter von der Tür entfernt ist. Sofort werden wir von uniformierten Polizist*innen umringt. Sie verlangen unsere Dokumente. Wir weigern uns. Wir haben nichts falsch gemacht. Wir gehen.

6. Wir mieten ein Auto. Wir sehen uns den ersten Ort für den Auftritt von Pussy Riot an. Auf einer leeren Nachtstraße wird die Gruppe von der Polizei angehalten.

Die Polizei ist sich sicher, dass das Auto gestohlen wurde und dass die Pussy Riot-Aktivistin, die am Steuer sitzt, einen gefälschten Führerschein hat. Wir werden verhaftet. Spät in der Nacht werden wir von der Polizei freigelassen, nachdem sie uns das Recht auf das Auto genommen hat.

7. Um acht Uhr morgens schwimmen wir im eisigen schwarzen Meer des Februars - das ist unser erster Dreh für das Pussy Riot Olympia-Video. Ein Polizeiauto fährt an einem leeren Strand vor. Die Agent*innen steigen aus. 20 Minuten lang filmen sie mit mehreren Videokameras Mädchen, die vor Kälte quietschen und in Sturmhauben tauchen.

Unsere obligatorische VIP-Amnestie besteht nur wegen der Olympischen Winterspiele. Putin ist es leid, Fragen ausländischer Staatsmänner über Pussy Riot zu beantworten. Er muss das Problem mit uns "Hooligans" lösen, um die Feierlichkeiten nicht zu verderben.

Die Amnestie dient dazu, das Gesicht vor dem Westen zu wahren.

Bei den Olympischen Winterspielen wird uns klar, dass sich alles verändert hat, dass wir das Ausmaß der Veränderung nicht erfasst haben, dass wir das Gefängnis verlassen haben und in einem anderen Land angekommen sind. Es gibt keinen Weg zurück. Putin befindet sich in seiner dritten Amtszeit als Präsident, die nun auf sechs Jahre verlängert wurde, und das Jahr 2014 wird zu einem Punkt ohne Wiederkehr.

 Punkt ohne Wiederkehr

Für Putin sind die Olympischen Spiele eine besondere Operation, um Russland wieder zu Größe zu verhelfen.

Ort
Olympische Winterspiele, Sotschi

8. Am Mittag werden wir von einer gemeinsamen Grenzschutzeinheit des FSB (Inlandsgeheimdienst) festgenommen. Uns wird vorgeworfen, dass wir keine Erlaubnis haben, uns in der Sonderzone der Grenze aufzuhalten. Die Beamten wissen nicht, wo sich diese Sonderzone befindet. Für die nächsten 12 Stunden werden wir in einer Militäreinrichtung nahe der russischen Grenze festgehalten.

9. Am Abend, nach 12 Stunden Verhör durch die FSB-Grenzschutzeinheit, gehen wir zum Abendessen. Fast sofort werden wir von verdeckten Polizeibeamt*innen ins Visier genommen, die versuchen, einen Kampf zu provozieren, indem sie sich als Stammgäste eines Cafés ausgeben.

10. Um zwei Uhr morgens drehen wir eine Folge des Videos in der Nähe der Olympischen Ringe am Stadtrand von Sotschi. Es gelingt uns, uns von den Agent*innen zu lösen.

11. Am Morgen verlassen wir die Autos. Wir steigen in einen regulären Bus und fahren in das Zentrum von Sotschi. Nach 15 Minuten holt uns eine Gruppe von Polizeibeamt*innen ein: "Ihr müsst mit uns zur Polizeistation fahren", "Warum?", "Euer Hotel wurde ausgeraubt.Ihr seid alle verdächtig". Sie verdrehen uns gewaltsam die Arme, werfen uns in Reisewagen und bringen uns zur Polizeistation.

12. Wir verlassen die Polizeistation, wo wir fünf Stunden lang festgehalten wurden. Am Tor steht eine riesige Menge von Journalist*innen. Wir setzen uns Sturmhauben auf und brechen durch den Ring von Pressevertreter*innen, wobei wir Zeilen aus dem Lied "Putin wird euch lehren, das Vaterland zu lieben" skandieren. Eine Gruppe von Journalist*innen rennt uns in der  Gasse nach. Menschen stürzen, Kameras fallen.

13. Am Morgen drehen wir die Schlüsselepisode des Videos, an der blauen Wand von Sotschi 2014, in der Nähe des Seehafens. Wir werden von einer Gruppe bärtiger Kosaken mit Peitschen angegriffen. Die Polizist*innen stehen schweigend daneben. Einige von ihnen filmen das Geschehen mit Videokameras.

14. Die Kosaken verdrehen unsere Arme, kämpfen, schlagen uns ins Gesicht, bis wir bluten, und sprühen uns Tränengas ins Gesicht. Die Polizist*innen schauen dem blutigen Gemetzel lächelnd zu.

15. Wir wischen das Blut weg, verbinden die Wunden im Krankenhaus, waschen uns das Tränengas aus den Augen und gehen zum Dreh der nächsten und letzten Folge des Videos.

16. Nachts, in einem geheimen Haus am Stadtrand von Sotschi, schneiden wir das Video "Putin wird dich lehren, das Vaterland zu lieben". Frühmorgens - die Premiere und das Treffen mit den Journalist*innen.

17. Eine halbe Stunde vor der Pressekonferenz weigert sich das Hotel, in dem das Treffen mit den Journalist*innen stattfinden soll, unter einem idiotischen Vorwand, ein Zimmer zur Verfügung zu stellen. Das Treffen mit den Journalist*innen findet auf der Straße statt, vor dem Eingang des verängstigten Hotels.

18. Die Journalist*innen werden von kremlfreundlichen Jugendlichen belästigt, die als rote Hähne verkleidet sind, mit rohen Hühnerkadavern in der Luft herumfuchteln und "Wir mögen Sex mit Hühnern!" skandieren. In einem Interview mit CNN sagen die jungen Leute, die Hühnerkadaver in der Hand halten: "Das Leben ist so gut in Sotschi, dass es keinen Grund zum Protest gibt".

19. Wir fahren zum Flughafen - es ist Zeit, nach Moskau zurückzukehren. Der Taxifahrer erkennt uns und macht ein Foto als Andenken. Auf dem Weg halten wir zum Mittagessen an. Als wir das Café verlassen, erfahren wir, dass während des Essens zwei FSB-Beamt*innen auf den Taxifahrer zugekommen sind und ihn gezwungen haben, das Foto zu löschen. Außerdem haben sie ihn zu einem Gespräch in die FSB-Abteilung gerufen. Wir kommen am Flughafen an. Wir kehren nach Moskau zurück.

20. Auf dem Flughafen Wnukowo. Wir werden wieder von einer Menge kremlfreundlicher Jugendlicher empfangen, die als rote Hähne verkleidet sind. Die Hähne singen unser Lied "Putin wird euch lehren, das Vaterland zu lieben" mit heiserer Stimme und zerschlagen die Gitarren auf dem Boden, woraufhin sie theatralisch von der Polizei festgenommen werden.

21. Unser erster Morgen in Moskau nach Sotschi. 21. Februar. Wir gehen zum Gericht, um die Jungs zu unterstützen, die wegen der Teilnahme an einer Kundgebung gegen Putins Amtseinführung am 6. Mai 2012 auf dem Bolotnaja-Platz verhaftet wurden. Sieben Personen erhalten Haftstrafen von zwei bis vier Jahren.

22. Am nächsten Tag, dem 22. Februar, siegt die Revolution in der Ukraine, die wir nachdrücklich unterstützen. Der gestürzte Präsident Janukowitsch flieht heimlich nach Russland.

23. Unmittelbar nach dem Ende der Olympischen Spiele in Sotschi und dem Sieg der Revolution in der Ukraine beginnt der "russische Frühling" - in wenigen Tagen wird die Annexion der Krim eingeleitet.

→ Jeder wurde 3 Mal verhaftet. Schläge, Schikanen, Überwachung, aufgeschlitzte Reifen

 

DONT BE AFRAID, 2015
[HAB KEINE ANGST]

Kontext
(Pussy Riot-Maske und Sprechblase):
"Das Land selbst ist in einem soziokulturellen Sinne gefangen. In Wirklichkeit ist der 12. Juni der Feiertag des gefangenen Russlands".

Für "Don't be Afraid" trug die Künstlerin Katrin Nenasheva 30 Tage lang Gefängniskleidung an verschiedenen öffentlichen Orten und dokumentierte täglich, wie andere auf ihre Anwesenheit reagierten.
Die Performance mit der Flagge fand am 18. Tag der Aktion, dem Russlandtag, statt. Nadia schloss sich Katrin an und trug die Uniform, die sie während ihrer Inhaftierung in der Strafkolonie Mordowien getragen hatte.

Die Mädchen kamen in Gefängnisuniformen auf den Platz und versuchten, die Flagge Russlands mit der Aufschrift "Russia, Penal Colony-1" zu nähen.

→ Sie hatten keine Zeit, die Flagge auf dem Platz fertigzustellen, weil sie von der Polizei aufgehalten wurden.

 

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THE BALL, 2014
[DER BALL] 

Ort
Roter Platz, Moskau

Kontext
Nawalnys Bruder Oleg wurde zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, weil er der Bruder des wichtigsten Oppositionsführers des Landes ist. Tausende von Menschen kamen auf den Roten Platz, um zu protestieren, aber sie wurden von der Polizei auseinandergetrieben. Aber ein paar Menschen blieben. 26 Grad unter Null. Die ganze Nacht standen wir mit Plakaten in einer riesigen Weihnachtskugel. Auch am Morgen wurden wir festgehalten. Drei Polizeibusse  kamen für acht eingefrorene  Menschen.

→ Inhaftierung, Tag auf der Polizeiwache

 

NEW FACE OF THE COUNTRY, 2014
[DAS NEUE GESICHT DES LANDES]

Ort
Zamoskvoretsky Gericht, Moskau

Illustration “Sie können uns nicht alle einkerkern”

Kontext
21. Februar 2014. Vor genau zwei Jahren waren wir auf dem Weg zur Christ-Erlöser-Kathedrale. Jetzt geht es zum Zamoskvoretsky-Gericht, um die Angeklagten im Bolotnaya-Fall zu unterstützen, die verhaftet wurden, weil sie am 6. Mai 2012 an einer Protestkundgebung gegen Putins Amtseinführung als Präsident auf dem Bolotnaya-Platz teilgenommen hatten. Sieben Personen in diesem Fall werden zu Haftstrafen von 2 bis 4 Jahren verurteilt. Hunderte weitere Personen kommen als potenzielle Angeklagte in Frage, einige von ihnen werden das Land verlassen, um dem Gefängnis zu entgehen.

Politische Gefangene aus dem Bolotnaja-Fall werden nicht aus ihren Haftstrafen entlassen. Trotz hunderter Unterstützungsbriefe, die in Russland längst mit Toilettenpapier gleichgesetzt werden, werden sie bis zum Ende ihrer Haftzeit im Gefängnis bleiben. Putin braucht sie im Gefängnis als Exempel. Ein Beispiel dafür, was dich erwartet, wenn du in Russland protestierst.

Boris Nemstov, Oppositionspolitiker
Er wurde 2015 auf einer Brücke im Zentrum Moskaus ermordet. Er war die lauteste Stimme gegen die Annexion und den Krieg im Jahr 2014.

Ilya Yashin, Oppositionspolitiker
Verbüßt derzeit 8 Jahre, weil er auf seinem Blog einen YouTube-Bericht über Kriegsverbrechen der russischen Armee in Bucha, Ukraine, veröffentlicht hat.

Alexey Navalny, Oppositionspolitiker
Verbüßt derzeit mehr als 20 Jahre für seinen Widerstand gegen Putins Regime und seinen Kampf gegen die Korruption in Russland.

 

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ANNEXED CRIMEA, 2014
[ANNEKTIERTE KRIM]

 Auf der annektierten Krim begannen sie, diese Warnschilder über "Agent*innen des Westens" aufzustellen und begannen auch, die Rhetorik der Sowjetunion gegen Menschen zu verwenden, wie "Staatsfeind*in", "Volksfeind*in", "Agent*in", "ausländische Agent*in". Sie begannen, das Gesetz immer wieder zu ändern und schufen Gesetze über ausländische Agent*innen und unerwünschte Organisationen. Seitdem können sie jeden, den sie wollen, als ausländische Agent*innen bezeichnen.

Dasselbe gilt für unerwünschte Organisationen und unerwünschte Personen. Sie können verfolgen, wen immer sie wollen.

Ort
Zentrum Simferopol

Kontext
2014 stellten wir fest, dass wir in ein anderes Land entlassen worden waren, als wir es in Erinnerung hatten. Ein anderer Ort, der gewalttätiger und erschreckender war. Putin annektierte die Krim eine Woche nach der Veranstaltung "Putin wird euch lehren, das Vaterland zu lieben", eine Woche nach den Spielen in Sotschi.

Sie annektierten die Krim. Sie nahmen ein fremdes Territorium in Besitz und erhielten vom Westen keine angemessene Reaktion, sondern nur sehr leichte Embargos, die von den größten europäischen Ländern vermieden wurden. Für den Diktator Putin war das ein Zeichen, dass es in Ordnung ist, Gebiete zu erobern, und schon damals begann er einen Krieg in der Ukraine.

 

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HAPPY BIRTHDAY; EXECUTIONERS 2017
[HAPPY BIRTHDAY; HENKER]

Ort
Lubjanka, FSB-Gebäude, Moskau

Kontext
Wir wanderten durch die Hinterhöfe der Lubjanka - hier sprach Lenin, und gab ein grandioses Bankett, hier organisierte Dserschinski das erste Untergrundlabor des Landes, in dem die ersten Experimente mit psychotropen Substanzen an den Verhafteten durchgeführt wurden, die nachts ins Ungewisse gebracht wurden. Labor X. Und jetzt - buchstäblich daneben - mit einer riesigen Sichel und einem Hammer in einem Kranz: der Empfang des FSB (Inlandsgeheimdienst). Wir haben beschlossen, den Tschekisten ein Geschenk zu ihrem Jahrestag zu machen. Wir gehen zum Empfang des FSB, um ihnen zu gratulieren. Sie sind seit 1917 in der Lubjanka unter verschiedenen Namen - Tscheka - NKVD - KGB und jetzt FSB - und heute feiern sie 70 Jahre seit Stalins Großem Terror 1937.

→ Eine Nacht auf der Polizeiwache verbracht und 40 Stunden gemeinnützige Arbeit geleistet.

Nacht. "Happy Birthday, Henker" - schreiben wir mit einer Sprühdose und falten das Blatt, damit es in die enge Küche passt.

Morgens. Wir treffen uns bei Starbucks in der Lubjanka. Wir gehen zum Empfang des FSB, um den Sicherheitsbeamten zu gratulieren. Wir rollen das Laken an dem am besten geschützten Ort des Landes aus. Und alles scheint gut zu sein. Die Tatsache, dass wir es schaffen, es aufzuhängen, ohne dass unsere Gesichter sofort in den Asphalt gedrückt werden, ist ein Erfolg. Mir scheint, dass eine Ecke nicht gerade ist, also kehre ich zurück, um sie zu richten. Olga geht weg. Und plötzlich bin ich von allen Seiten von Polizist*innen in Zivilkleidung umringt. Sie haben Olga verpasst.

 

PAPER PLANES, 2018
[PAPIERFLIEGER]

Ort
Lubjanka, FSB-Gebäude, Moskau

Kontext
Dies war seit 1917 das Hauptquartier der Sonderdienste. Neben den Kabinetten der Tschekisten wurde es auch als Gefängnis für die gefährlichsten Revolutionär*innen, Regisseur*innen und Dichter*innen genutzt, die im Lubjanka-Keller tagelang gefoltert wurden.

In der gesamten Geschichte des Gebäudes ist niemand entkommen.

Im Laufe des letzten Jahrhunderts wechselten die Checkist*innen oft ihren Titel, verließen das Gebäude aber nie.
VChK - NKVD - KGB - und schließlich FSB.
Die Archive, die zeigen, was hier vor sich ging, sind bis heute geheim.

2018 beschloss Roskomnadzor, Telegram, den Messenger-Dienst, den wir alle genutzt haben, zu sperren. Das Telegram-Logo? Ein Flugzeug. Wir haben viele bunte Papierflugzeuge gebastelt und sie in das FSB-Gebäude geschossen.

→ Ein paar Nächte in Polizeigewahrsam + 200 Stunden gemeinnützige Arbeit für Masha.

 

FSIN = GULAG, 2018
[FSIN (Föderaler Strafvollzugsdienst) = GULAG]

Ort
Föderale Strafvollzugsbehörde, Moskau

→ Ich wurde nicht von den Polizist*innen erwischt. Die Beamt*innen dort waren Angestellte der FSIN, die niemanden verhaften.

Kontext
Als wir anfingen, sie zu beschimpfen, kam ein/e Mitarbeiter*in heraus und sagte uns, wir sollten alle Beschwerden schriftlich einreichen.

Wir erwiderten, dass wir genau das tun würden. Wir haben die Worte nur vergrößert, damit sie lesbar sind.

Heute kann in Russland jeder hinter Gitter kommen. Dazu musst du nicht einmal ein Lied gegen Putin singen. Du kannst für einen Post, für einen Repost, für eine einzige Demonstration, für ein Gespräch mit Freund*innen über Politik bei McDonalds eingesperrt werden. Was ist das Gefängnissystem? Zwei Jahre lang habe ich es von innen gesehen. Es ist ein Fleischwolf, der die Menschlichkeit in einem Menschen zerstört.

In meiner Kolonie arbeiteten die Frauen 10 Stunden am Tag, 6 Tage die Woche, manchmal mehr. Sie bekamen 200 Rubel im Monat, anstatt des vorgeschriebenen Mindestlohns.

Sie hatten keine Medikamente, kein richtiges Essen und konnten nicht über die Bedingungen sprechen, unter denen sie leben. In meiner ersten Kolonie wurden Andersdenkende aus dem Fenster geworfen, in der zweiten wurden sie in Kältekammern gesteckt.

(Auf schwarzem Band unter dem Bild mit Untertiteln): Vielleicht sollte ich deine Zunge verbrennen? Das ist doch keine große Sache...

Jeder hier hat ein Video aus der Strafvollzugskolonie Jaroslawl gesehen, in dem elf Angestellte einen Gefangenen foltern. Sie schlagen mit Gummiknüppeln auf die Fersen und den Körper ein. Dieses Video ist kein außergewöhnlicher Fall von Sadismus, sondern Teil der täglichen Praxis des russischen Gefängnissystems, das Menschen zu Sklav*innen und Geiseln macht. Deshalb haben wir unsere Fotos von diesen Menschen gedruckt, oder besser gesagt von dem, was ihnen angetan wurde. Wir sind hier, um zu sagen, dass wir aufhören, Menschen zu sein, wenn wir das vergessen.

Wir kamen zum Empfang des FSIN (Russischer Föderaler Strafvollzugsdienst) mit Aufklebern "FSIN=GULAG", "Morde", "Folter", "Sklavenarbeit"

 

140 HOURS OF COMMUNITY SERVICE
[140 STUNDEN GEMEINNÜTZIGE ARBEIT, 2018-19]

DER KAFKAESKE WEG

Ort
Bezirk Molodeznalya, Moskau

Kontext
Das Haus, das ich putzen sollte, sollte in ein paar Monaten zerstört werden, was eine sehr kafkaeske Art ist, eine Strafe zu verhängen.

 

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ATTACKS ON PUSSY RIOT, 2014
[ANGRIFFE AUF PUSSY RIOT]

Kontext
Wir kamen zu meiner Strafkolonie, der letzten in Nischni Nowgorod, mit Lebensmitteln für meine inhaftierten Freund*innen und wurden von einer Nazigruppe angegriffen. Sie wachsen wie Pilze aus dem Boden:

Gopniks in Kapuzenjacken mit St.-Georgs-Schleifen stürmen in den McDonald's und umzingeln uns. Sie werfen mit Hühnerbeinen nach uns und besprühen uns mit Klebstoff aus einer Dose. Sie tragen Spritzen, die mit Seljonka gefüllt sind - leuchtend grün. Sie rennen abwechselnd auf uns zu. Einer von ihnen hält ein Schild in der Hand: "Dreckige Huren, raus aus der Stadt".

6 Uhr morgens, wir waren gerade aus dem Zug gestiegen und zum Essen gegangen. Ein anderer Typ mit Hut sprüht leuchtendes Grün aus einer Spritze. Zielt auf die Augen. Zehn Leute stehen über unserem Tisch bei McDonald's. Sie filmen uns und wiederholen, dass wir "zurück... nach Amerika" gehen müssen!

Ort
McDonalds, Nizhny Novgorod

Kontext
Tasya hält die Kamera, sie hat eine Verbrennung am Auge, die zum vollständigen Verlust des Sehvermögens führen wird. Und Nadia hat auch eine Verbrennung. Ich habe eine Gehirnerschütterung. Die Polizei, deren Revier gleich um die Ecke ist, braucht 40 Minuten, um zu uns zu kommen. Der Krankenwagen fährt mit der gleichen Geschwindigkeit.

→ DER ANGRIFF WIRD NICHT UNTERSUCHT

 

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WORLD CUP, POLICEMAN ENTERS THE GAME, 2018
[WELTMEISTERSCHAFT, POLIZIST BETRITT DAS SPIEL]

Ort
Luzhniki-Stadion, Moskau

Kontext
Vier Mitglieder von Pussy Riot rannten am 15. Juli während des Spiels zwischen Frankreich und Kroatien im Finale der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 auf das Spielfeld.

Die Aktion fällt zeitlich mit dem 11. Todestag des Dichters Dimitri Prigov zusammen. Der himmlische Polizist, so Prigov, spricht über sein Walkie-Talkie mit Gott selbst. Der irdische Polizist fabriziert Kriminalfälle. Während der himmlische Polizist sanft die Fans bei der Fußball-Weltmeisterschaft beobachtet, bereitet sich der irdische Polizist darauf vor, die Kundgebungen aufzulösen. Der himmlische Polizist berührt sanft eine Blume auf dem Feld und freut sich über die Siege der russischen Nationalmannschaft, während der irdische Polizist dem Hungerstreik von Oleg Sentsov gleichgültig gegenübersteht. Der himmlische Polizist steht als Beispiel für Staatlichkeit, der irdische Polizist tut jedem weh.

→ Wir wurden alle verhaftet und für 15 Tage festgehalten.

Ein paar Monate später wurde Pjotr Verzilov mit Militärgift vergiftet.
Pjotr wurde von Pussy Riot-Anhänger*innen in einem Privatflugzeug bewusstlos aus Moskau in die Charité-Klinik in Deutschland gebracht. Er erholte sich in mehreren Monaten.

 

FREE SENTSOV, 2017
[BEFREIT SENTSOV]

Ort
Brücke neben der Strafkolonie von Sentsov
Jakutsk, Sibirien

Kontext
Nach der Annexion der Krim und dem anschließenden Krieg im Osten der Ukraine im Jahr 2014 wurden nicht nur Oppositionelle, sondern auch ukrainische Bürgerinnen und Bürger innerhalb Russlands verfolgt.
Einer von ihnen war der ukrainische Regisseur Oleg Sentsov. Nachdem er vom FSB gefoltert und im Herbst 2015 zu 20 Jahren Haft verurteilt worden war, hielt Sentsov vor Gericht eine der stärksten Reden, die ich je gehört habe.
Wir fuhren nach Sibirien, nach Jakutsk, und führten die erste Aktion durch, direkt neben der Strafkolonie, in der er festgehalten wurde.

→ von der Polizei festgenommen, erhielt eine Geldstrafe

Ort
Trump Tower, New York

Kontext
Die zweite Aktion in New York führten wir mit lokalen Aktivist*innen der Literaturorganisation PEN durch, nachdem wir ihnen von dem Fall Sentsov erzählt hatten. Während einer Pause zwischen den Auftritten blockierten wir den Trump Tower für eine halbe Stunde, hängten ein riesiges Transparent auf und verteilten mehrere hundert Flugblätter.

→ Gespräch mit der New Yorker Polizei, keine Festnahme, keine Geldstrafe

Ort
Simferopol, annektierte Krim

Kontext
Wir beschlossen, eine dritte Aktion auf der Krim durchzuführen. Laut Plan sollte die Aktion in der Nähe einer Lenin-Statue in Simferopol stattfinden, die Sentsov zu Unrecht beschuldigt wurde, eine Bombe gelegt zu haben.

→ Der FSB nahm mich am Flughafen und Olga und Sasha auf der Fähre fest, verbrannte die gesamte Ausrüstung und drohte mir mit körperlicher Gewalt. Nach der Verhaftung sind Olga und Sascha abgereist, aber ich habe das Transparent am Bahnhof trotzdem entrollt. Dann griffen mich als Kosak*innen verkleidete Leute mit Peitschen an.

Alle drei Teilnehmer*innen an der Aktion wurden von der Polizei verhaftet und verurteilt.
Aus Sentsovs Rede vor Gericht zum Zeitpunkt seiner Verurteilung.

"Weißt du, du hattest Recht, die schlimmste Sünde auf Erden ist die Feigheit."
Das hat der große russische Schriftsteller Bulgakow in seinem Buch "Der Meister und Margarita" geschrieben, und ich stimme ihm zu. Feigheit ist die wichtigste, die schrecklichste Sünde der Welt. Verrat ist eine ganz private Form der Feigheit.

Ich habe ein Jahr lang in deinem schönen Land gelebt und dein Fernsehen gesehen. Eure Propaganda funktioniert hervorragend. Der größte Teil der russischen Bevölkerung glaubt, was sie sagen: Putin ist ein guter Kerl, die Faschist*innen sind in der Ukraine, Russland macht alles richtig, die Feind*innen sind überall. Ihr wisst ganz genau, dass es in der Ukraine keine Faschist*innen gibt, dass die Krim unrechtmäßig erobert wurde und dass eure Truppen im Donbass präsent sind. Sogar ich, der ich hier im Gefängnis sitze, weiß, dass deine Truppen im Donbass sind.
Wir hatten auch eine kriminelle Macht, aber wir haben uns dagegen gewehrt. Sie wollten uns nicht hören

- wir klopften an Mülltonnen. Die Behörden wollten uns nicht sehen - wir zündeten Reifen an. Am Ende haben wir gewonnen. Das Gleiche wird früher oder später auch mit dir passieren. Ich will nicht, dass jemand verletzt wird, ich will nur, dass ihr nicht mehr von Kriminellen regiert werdet.

Und ich möchte Russland wünschen, dass es lernt, keine Angst zu haben!

 

HDK 240917 Pussy Riot Exhibition Views Photo Maximilian Geuter 37

STOP GULAG, 2019

Ort
Bolschoi Kamenny Brücke, Moskau

Kontext
Ende 2019 war Russland mit einer großen Anzahl verschiedener Strafverfahren beschäftigt, die aus politischen Gründen aneinandergereiht  wurden. Die Angeklagten in diesen Fällen waren ganz unterschiedliche Menschen.

Eine Politikerin, Studierende, Intellektuelle aus der Mittelschicht, zufällige Passant*innen oder Menschen, die ihr Leben der Suche nach Opfern des Regimes gewidmet haben - all diese Menschen wurden zu Angeklagten in Strafverfahren, denn wenn der Unterdrückungsmechanismus einmal in Gang gekommen ist, hört er nicht mehr auf.

Wir haben ein 10 Meter langes Banner mit der Aufschrift "Stoppt den Gulag" und Porträts neuer politischer Gefangener angefertigt und an einer Brücke in der Nähe des Kremls aufgehängt.

→ Ich habe eine hohe Geldstrafe erhalten, die alle meine Bankkonten sperrt

 

HDK 240917 Pussy Riot Exhibition Views Photo Maximilian Geuter 22

NEW YEAR TREE, 2019-2020
[NEUJAHRSBAUM]

Ort
Lubjanka, Moskau

Kontext
In der Sowjetunion galt die Religion als Opium für die Menschen und so feierten sie nicht Weihnachten, sondern Neujahr, und so wird es in Russland auch heute noch gemacht. Vor dem Hauptquartier des russischen Geheimdienstes FSB in der Lubjanka stehen große beleuchtete Neujahrsbäume, und so kamen wir an Silvester in die Lubjanka und schmückten einen Baum.

Die Lubjanka ist ein schrecklicher Ort und sollte ein Museum werden, nicht ein Heim für die Geheimpolizei. Wenn die Archive geöffnet werden und wir sehen, wie viele Leben in diesen Mauern zerstört wurden, wenn dies in den Schulen gelehrt wird, besteht die Chance, dass die Herrschaft des Stärkeren und die Macht, die durch Angst und Gleichgültigkeit ausgeübt wird, in Russland keine Schlüsselbegriffe mehr sind.

Wir haben 36 Ornamente gebastelt - bunte Ornamente mit Porträts von politischen Gefangenen. Vom Baum aus blicken die Angeklagten berüchtigter politischer Fälle wie der "Moskauer Fall", der "Rostower Fall", "Das Netzwerk" und "Neue Größe", Yuri Dmitriev, Azat Miftakhov und Yulia Tsvetkova auf Passant*innen und durch die Fenster der Lubjanka. Alle von ihnen sind unschuldig, fast alle sind verhaftet, viele wurden gefoltert, einigen drohen bis zu 18 Jahre Gefängnis, einige haben die Liebe gefunden, andere haben geheiratet, aber eines haben sie alle gemeinsam - ihr Leben wird nie mehr dasselbe sein.

Denn die wahre Macht liegt nicht bei denen, die Helme, Schlagstöcke und einen Unterdrückungsapparat haben, sondern bei denen, die menschlich geblieben sind

→ Wir haben uns nicht erwischen lassen

 

"2036", 2020

Ort
Roter Platz, Moskau

Kontext
Die Aktion "2036" ist eine Hommage an die russische Künstlergruppe E.T.I., die im April 1991 in der Nähe von Lenins Mausoleum mit ihren Körpern ein Wort mit drei Buchstaben buchstabierte, das FUCK entspricht.
Am 1. Juli fand eine "Abstimmung" über Verfassungsänderungen statt, von denen eine Putins Amtszeit als Präsident aufhebt. Wenn die Änderungen angenommen werden, kann der Präsident wiedergewählt werden und bis 2036 an der Macht bleiben.

Wir inszenierten "2036" auf dem Roten Platz und formten diese Zahlen mit unseren Körpern auf den Pflastersteinen

→ Vier Stunden in einer Polizeistation. Viktor Kotov wird von der Polizei brutal verprügelt. 

 

BURNING THE CONSTITUTION, 2020
[VERBRENNUNG DER VERFASSUNG]

Kontext
In der Zeit, in der die Verfassungsänderungen vorgenommen wurden, wurde ich durchgehend überwacht.

Zwei oder drei kennzeichenlose Autos folgten uns Tag und Nacht. Und eine Vielzahl von Polizisten in Zivilkleidung überwachten den Eingang meines Hauses.

Deshalb hätte meine Teilnahme an der Straßenaktion eine Menge an Polizist*innen angezogen und die Aktion hätte nicht stattfinden können. Also entschloss ich mich, einfach einen kleinen Scherz bei mir zu Hause zu machen.

 

SINGLE DEMONSTRATIONS, 2019
[EINZELNE DEMONSTRATIONEN]

Ort
Moskau

Kontext
Im Sommer 2019 wurden einige unabhängige Kandidat*innen nicht für die Wahlen zum Moskauer Parlament zugelassen, obwohl sie ordnungsgemäß genügend Unterschriften gesammelt hatten.Es kam zu Massenprotesten. Die Sicherheitskräfte nahmen die Protestierenden gewaltsam fest. Ehemalige Mitarbeiter*innen der Kiewer Berkut, die in der Ukraine gesucht wurden, wurden in den Reihen der Sicherheitskräfte gesehen.

Nachdem ich mehrere Stunden lang an einer Kundgebung teilgenommen hatte, die im gesamten Zentrum Moskaus stattfand, setzte ich mich auf eine Bank im Park, in dessen Nähe die Kundgebung weiterging, und las auf meinem Handy. Mir gegenüber sitzen mehrere Polizist*innen in Zivilkleidung. Plötzlich springt einer von ihnen auf, setzt sich auf meine Bank und sagt, er wolle ein Selfie machen - schnell holt er sein Handy heraus und macht ein Foto mit mir.
Danach sagt er zu dem/der uniformierten Polizist*in,
"Jetzt kannst du sie festnehmen".
Sie nehmen mich fest und bringen mich auf die Polizeiwache.
Am nächsten Tag bekomme ich eine Geldstrafe von 2.000 Dollar.
Insgesamt wurden bei der Kundgebung am 27. Juli 1.373 Menschen festgenommen.
Nach dieser Kundgebung wurde ein Strafverfahren gegen die Demonstrant*innen eingeleitet, "Der Moskauer Fall".
2019 war das Jahr der Demonstrationen - einzelne Demonstrationen, Demonstrationsschlangen - zur Unterstützung der Angeklagten im "Fall Moskau", dem größten Strafverfahren seit 2012.

Als die Behörden alle Massenproteste verboten, begannen die Menschen, sich anzustellen, um abwechselnd ein Schild zu halten. Schließlich wurde auch die Schlange verboten und schließlich stand man allein mit einem Schild da.

Ort
Moskau

Verwaltung des Präsidenten

Isolationszentrum Petrowka

Lubjanka, FSB-Gebäude

(Grünes Band)
Ich bin / Wir sind Konstantin Kotov
5 friedliche Aktionen - 4 Jahre Strafkolonie
Ich / Wir sind das Land
Dutzende von Unschuldigen werden jetzt eingesperrt
Russland ist inhaftiert!

→ Massive Geldstrafen

HDK 240917 Pussy Riot Exhibition Views Photo Maximilian Geuter 23

 

RAINBOW DIVERSION, 2020
[REGENBOGEN ABLENKUNG]

Standort der Bilder

● Ministerium für Kultur, Moskau
● Föderaler Sicherheitsdienst auf der Lubjanka, Moskau
● Verwaltung des russischen Präsidenten, Moskau
● Polizeistation Basmanny, Moskau
● Oberster Gerichtshof Russlands, Moskau

Pussy Riot gratuliert Putin zu seinem 68. Geburtstag und hisst Regenbogenflaggen an 5 der wichtigsten Regierungsgebäude in Russland.

Jetzt ist die Zeit gekommen

"In Russland wird es niemals Einschränkungen aufgrund der Orientierung geben", versprach Putin. Zur gleichen Zeit tötete die Regierung in Tschetschenien Homosexuelle, verabschiedete transphobe Gesetze (um "die Institution der Familie zu stärken") und verfolgte Väter von Kindern, die von Leihmüttern geboren wurden. Um die Menschen zu ermutigen, für eine Verfassungsänderung zu stimmen, die es Putin ermöglichte, auf unbestimmte Zeit an der Macht zu bleiben, verbreitete die Propaganda schreckliche homophobe Videos, die unsere russischen Bürger*innen davon überzeugen sollten, dass der Aufenthalt in einer gleichgeschlechtlichen Familie für ein Kind schlimmer ist als das Leben in einem Waisenhaus.

Wir tun nur unsere Arbeit

Wir haben Regenbogenflaggen als unser Geschenk an Putin gewählt, als Symbol für fehlende Liebe und Freiheit. Der Staat sollte sich nicht in das Leben der LGBTQ-Gemeinschaft einmischen. Aber wenn er es doch tut, dann kann die Gemeinschaft in das Leben des Staates eingreifen. Du selbst sagst in solchen Fällen gerne "symmetrische Reaktion".

Deshalb fordern wir von der Regierung Russlands und Wladimir Putin selbst:

1. Kläre die Morde und Entführungen von Schwulen, Lesben, Transgender und queeren Menschen in Tschetschenien auf
2. Beende die Schikanen gegen Aktivist*innen und Organisationen, die die LGBTQ-Gemeinschaft unterstützen
3. Verabschiede ein Gesetz, das Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und der sexuellen Orientierung verhindert
4. Legalisiere gleichgeschlechtliche Partnerschaften
5. Hör auf, gleichgeschlechtliche Familien zu schikanieren, hör auf, diesen Familien die Kinder wegzunehmen
6. Abschaffung des Gesetzes über "Propaganda für nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen", da es diskriminierend ist und das Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt
7. Mach den 7. Oktober zum Tag der LGBTQ-Sichtbarkeit

Pussy Riot und Freunde begrüßen Alexander Sofeev, als er aus dem Gefängnis entlassen wird.

→ Alexander Sofeev wurde für einen Monat inhaftiert. Die anderen Teilnehmer*innen wurden inhaftiert und mit Geldstrafen belegt.

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CENTRE E 
[ZENTRUM E]

Das Zentrum E ist das sogenannte Zentrum gegen Extremismus. Sie sind die russische politische Polizei, die permanent überwacht und Angriffe auf Aktivist*innen organisiert. Ihre Beamten werden Eshniki genannt.
Die Arbeit der Zentrum-E-Polizei besteht darin, gefälschte Konten in sozialen Netzwerken zu erstellen, Aktivist*innen, Politiker*innen und Künstler*innen zu verfolgen - jeden, der jemals dabei aufgefallen ist, sich gegen die Regierung auszusprechen - zu abonnieren und zu beobachten. Sie überwachen unsere sozialen Netzwerke stundenlang und schreiben dann Berichte.

"Entdeckt", "Identifiziert", "Fordert Maßnahmen".

HDK 240917 Pussy Riot Exhibition Views Photo Maximilian Geuter 46

Sprechblase: So erkennst du Beamt*innen vom Zentrum E:
1.         Sie tun so, als würden sie mit dem Handy sprechen, filmen dich aber in Wirklichkeit
2.         Sie leben in einem grauen/braunen Auto, das unter deinem Fenster steht
3.         Schuhe mit spitzen Zehen
4.         Aufgeblähte Jacken
5.         Kleine schwarze Taschen

Normalerweise sind ihre Konten leere Profile ohne Fotos und Namen, etwas wie "Igor 015987", aber manchmal bricht etwas Persönlichkeit durch den Benutzernamen durch.
hateeveryone - der Online-Nickname eines Eshniks
Eshniks verfolgen uns, wir filmen sie, sie filmen uns. Wir lachen. Auf dem Territorium der Russischen Föderation erhalten wir immer eine würdige Eskorte von den Beamten des

Zentrums gegen Extremismus - Zentrum E.

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CAREFUL, FRAGILE!, 2020 [VORSICHTIG, ZERBRECHLICH!]

Ort
Kreml, Moskau

Versuch N 1
Tag der nationalen Einheit

Der Tag der nationalen Einheit wurde von Putin erfunden, um den Tag der Revolution zu ersetzen. Ich bin nicht begeistert von Lenins Revolution, aber die Behörden haben keine Angst vor ihm, sie haben Angst vor dem Wort

Revolution
Wir sind im Kreml. Morgens. Die Bullen sind uns auf den Fersen.
Schnitt.
Wir verlassen die U-Bahn am Stadtrand von Moskau.
Es scheint keine Verfolger*innen zu geben.
Keiner folgt uns.
Schnitt.
Plastiktüten mit Fladenbrot und Kefir fallen auf den Boden. Ich falle auch. Zehn Uniformierte rennen auf uns zu, um uns zu befragen, verdrehen unsere Arme und stoßen mich zu Boden.

Versuch N 2
Tag der Polizei

- Und was habt ihr da an
- Kokoschniks
- Und warum?
- Nun, wir sind Russ*innen, also haben wir sie angezogen
- Ihr werdet festgenommen.

Wir bekommen ein Protokoll über einen nicht existierenden Artikel. In einem Monat werden wir dafür mit einer Geldstrafe belegt. Ich und Rita, weil wir im Stadtzentrum Kokoschniks getragen haben, Farhhad und Samar, weil sie sie nicht getragen haben.

Seit den Protesten im Jahr 2019 wurden Hunderte von Menschen angeklagt und mehrere wurden strafrechtlich verfolgt. Während die Menschen ihre Urteile erhielten, sagte die Polizei vor Gericht aus, dass sie von einem Plastikbecher erschreckt wurden, der in der Nähe herunterfiel. Der Plastikbecher wurde nicht ohne Grund als Waffe bezeichnet, aber die schrecklichste Waffe, die sich gegen einfache Menschen richtet, ist der Polizeistaat.

Versuch N 3
Wir haben es endlich geschafft, ohne sofort festgenommen zu werden.

 → Bei den ersten beiden Versuchen wurden wir von der Polizei festgenommen. In einer der Anklagen heißt es wörtlich, dass wir festgenommen wurden, weil wir ein Kokoschnik trugen. Nach der Aktion wurde Rita fast sofort verhaftet und bekam 20 Tage Arrest. Ich wurde ein wenig später verhaftet.

A SUITCASE, 2020
[EIN KOFFER]

Ort
Moskau, unsere Wohnungen

Kontext
Bevor ich verhaftet wurde, beschlossen wir, die Bullen ein wenig zu trollen, und flohen zweimal aus Wohnungen, die sie bewachten.
Beim ersten Mal verkleidete ich mich als Junge und beim zweiten Mal kletterte ich in einen Koffer und wurde von Lucy und Roma in einen Kofferraum gehoben. Ich rannte in einem Koffer vor den Polizist*innen weg und postete ein Video davon.
Dann kamen die Polizist*inneen zur dritten Wohnung und begannen, den Eingang zu bewachen. Unser befreundeter Anwalt kam zum Eingang, mit dem Koffer in der Hand. Die Polizist*innen umzingelten den Anwalt und forderten ihn auf, den Koffer zu öffnen. "Wir haben Informationen, dass sich da drin eine Person befindet", schrien die Polizist*innen.

"Das ist das Eigentum eines Anwalts, nach dem Gesetz dürfen Sie es nicht anfassen", antwortet der Anwalt und zeigt die Bescheinigung.
"Aber wir haben Informationen, dass sich dort eine Person befindet und wir müssen sie festnehmen", antworten die Polizist*innen.
Sie streiten zehn Minuten lang. Am Ende öffnet der Anwalt den Koffer - er ist leer. Wir machen vom Balkon aus Fotos von allem, was passiert, winken ihnen von oben zu und lachen.

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ARRESTS FOR NAZI PROPAGANDA, 2021
[VERHAFTUNGEN WEGEN NAZI-PROPAGANDA]

Ort
Moskau

Kontext
Während einer meiner 15-tägigen Verhaftungen in einer Sonderhaftanstalt hörte ich im Radio vom Beginn des Krieges.

Im Winter verstanden wir nicht, warum wir und andere Aktivist*innen wegen "Nazi-Propaganda" inhaftiert wurden. Im Frühjahr, im Februar 2022, entfesselte Putin einen umfassenden Krieg gegen die Ukraine und die Propaganda begann, alle Ukrainer*innen als Nazis zu bezeichnen.

Im Herbst/Winter 2021, als die meisten Pussy Riot-Mitglieder das Land verlassen hatten, begann der Staat erneut, gegen mich und Lucy zu hetzen. Ein wesentlicher Unterschied war, dass die Anklagen diesmal nicht wie üblich wegen "Widerstand" gegen die Polizei, sondern wegen "Nazi-Propaganda" erhoben wurden.

So teilte Lucy im Jahr 2018, als sie Stadtverordnete in Moskau war, einen Link zu einer Spendenaktion für die ukrainischen Streitkräfte. Pro-Kreml-Leute reagierten daraufhin und nannten sie einen Nazi. Einer von ihnen machte ein YouTube-Video, in dem er sie als Nazi bezeichnete und diese Collage von ihr mit der Aufschrift "Lucy Shtein faschistische Abgeordnete" einfügte. Der Hut ist offensichtlich sein Zusatz auf dem Foto.

Drei Jahre später wurde Lucy deswegen verhaftet und der Nazipropaganda beschuldigt. 

Drei Monate später startete Russland eine groß angelegte Invasion der Ukraine und der Begriff "Nazi" wurde in Bezug auf die Ukrainer*innen verwendet, um den Krieg zu rechtfertigen.

 

ARREST CAROUSEL, 2021
[VERHAFTUNGSKARUSSELL]

Im Sommer 2021 begannen die Verhaftungen von Pussy Riot ohne jeden Grund. Auf den Straßen und in der Nähe der Häuser wurden wir 16 Tage lang festgehalten und inhaftiert. Als wir die Haftanstalt verließen, wurden wir erneut festgenommen und für weitere 15 Tage eingesperrt.

Solche Ketten von Verhaftungen nennen wir Verhaftungskarussell.

Verhaftungskarussell von Pussy Riot & Freunden / 15 Tage / 2021-22
1 / 7. Mai 2021 / Nika / 5 Nächte / Widerstand
2 / 8. Mai 2021 / Sasha / 5 Nächte / Hooliganismus
3 / 16. Juni 2021 / Nika / 15 Tage / Widerstand
4 / 21. Juni 2021 / Sasha ( + Freund) / 15 Nächte / Rowdytum
5 / 22. Juni 2021 / Lucy / 15 Tage / Widerstand
6 / 22. Juni 2021 / Anya / 15 Tage / Widerstand
7 / 22. Juni 2021 / Masha (+ 2 Freunde) / 15 Nächte / Widerstand
8 / 2. Juli 2021 / Nika (+ Roma) / 15 Nächte / Widerstand
9 / 7 Juli 2021 / Masha () / 15 Tage / Widerstand
10 / 9 Juli 2021 / Anya / 10 Tage / Widerstand
11 / 21 Juli, 2021 / Rita / 15 Tage / Widerstand
12 / 12 August 2021 / Rita / 15 Tage / Nazi-Propaganda
13 / 3. November 2021 / Farhad / 15 Tage / Widerstand
14 / 16. Dezember 2021 / Lucy / 14 Tage / Nazipropaganda
15 / 16. Dezember 2021 / Masha / 15 Tage / Nazi-Propaganda
16 / 7. Februar 2022 / Mascha / 15 Tage / Nazi-Propaganda
17 / 27. Februar 2022 / Mascha / 15 Tage / Widerstand
18 / 13. März 2022 / Mascha / 15 Tage / Widerstand

Mascha und Lucy, Zelle Nr. 3
Masha, Zelle Nr. 3
Hier ist es, das Hauptprivileg gleichgeschlechtlicher Beziehungen - ihr könnt zusammen einsitzen! Wären wir ein Heizerpaar, würden wir in getrennten Zellen inhaftiert werden.

HAFTHAUS NR. 2

Nika, Zelle Nr. 2

Wir sitzen alle im selben Spezialgefängnis ein - im Gefängnis Nr. 2 "Mnevniki". Einer von uns ist es gelungen, das Handy mitzunehmen und wir haben superromantische Lo-Fi-Fotos gemacht.
Das "Detention Center" ist ein Gefängnis für kleinere Vergehen (kleine Schlägereien, Trunkenheit am Steuer), in dem man nicht länger als 15-30 Tage eingesperrt werden kann. Das Detention Center befindet sich in der Stadt, und der Verwaltungsakt, der erforderlich ist, um einen politischen Aktivist*innen dort einzusperren, kann innerhalb einer Stunde geschrieben/erstellt werden. Es ist ein sehr einfaches Mittel, um Druck auszuüben. Das Detention Centre #2 sieht aus wie eine Herberge, die als Gefängnis stilisiert wurde. Senffarbene Wände, hohe Decken. Runde Lampen mit schwarzen Netzabdeckungen, die an eine Frauenbrust in erotischen Dessous erinnern. In den Zellen gibt es Inschriften - Notizen von denen, die hier waren. In der Zelle von Sasha und Mitya steht: "Navalny war hier" und in unserer "Rita - 20 Tage für eine Aktion in der Nähe des Kremls".

 

HOUSE ARREST, 2021
[HAUSARREST]

Navalny kehrt nach seiner Vergiftung nach Russland zurück und wird am Flughafen verhaftet. Daraufhin wird eine große Demonstration zur Unterstützung von ihm und anderen politischen Gefangenen angekündigt.
Die Wohnung, in der Lucy und ich wohnen, wird von der Polizei umstellt. Sie stellen uns den Strom ab, um uns dazu zu bringen, die Wohnung zu verlassen, damit sie uns verhaften und festhalten können, damit wir es nicht zur Demonstration schaffen.

Unser Freund kommt rüber, um zu sehen, ob die Polizei immer noch vor unserer Tür steht, und wird von ihnen festgenommen, als er unsere Etage betritt, direkt neben dem Aufzug. Ein zweiter Freund wird von der Polizei festgenommen, als er es schafft, uns eine Powerbank zu geben.
Beide werden für 15 Tage verhaftet. Ganz ohne Grund.
Der dritte Freund kommt morgens mit dem Auto an, wir gehen schnell runter, springen in sein Auto und fahren zur Demonstration. In ein paar Tagen wird ein Strafverfahren gegen diesen Freund eröffnet.

Wir werden daran teilnehmen

Mashas Instagram-Post:
Wir haben Gäste! Lucys Wohnung ist von Polizisten umstellt und vom Strom abgeschnitten.
Deshalb möchte ich sagen:
Genosse Major, fick dich!
wir haben Kerzen
und wir treffen uns morgen um 14 Uhr im Stadtzentrum für unsere und eure Freiheit!

Lucy's tweet:
Scherzen ist cool, aber am 23. Januar müssen wir auf die Straße gehen und dem alten Furz und seinen Freunden sagen, dass sie zur Hölle fahren sollen (auch wenn ich an nichts glaube und nichts erwarte, ist es besser, als nur zu Hause zu sitzen)

Wir kommen zu der Demonstration und protestieren zusammen mit den anderen, dann beschließen wir, näher zum Kreml zu gehen. Auf dem Weg dorthin, in der Nähe des Bolschoi-Theaters, nimmt uns die Polizei fest und bringt uns auf die Polizeiwache. Wir verbringen die Nacht auf dem Polizeirevier. Am nächsten Tag verurteilt mich das Gericht zu einer Geldstrafe, und Lucy wird für 10 Tage inhaftiert.

Zwei Tage später erfahren wir, dass ein Strafverfahren gegen uns eingeleitet wurde. Als Teil des Strafverfahrens stellt uns das Gericht unter Hausarrest und legt uns elektronische Fußbänder an die Fußgelenke. Während der Ermittlungen und des Prozesses ist es uns als Kompliz*innen verboten, miteinander zu kommunizieren, den Ort des Hausarrests zu verlassen und das Internet zu nutzen. Du darfst nicht einmal den Müll rausbringen, einkaufen gehen oder einen Lieferservice bestellen. Dein Zuhause wird zu einer Gefängniszelle. Deine Bewegungen werden durch den Peilsender an deinem Fußgelenk kontrolliert. Ausflüge, wie zum Beispiel zum Gericht oder zum Arzt, kannst du nur in Begleitung eines Strafvollzugsbeamten namens "Inspektor" machen.

Lucy und ich wurden unter Hausarrest gestellt und auf zwei verschiedene Wohnungen aufgeteilt.

 

VERSTOSS GEGEN DEN HAUSARREST

Frühling 2021

1. Der erste Verstoß gegen den Hausarrest geschah plötzlich. Ich vermisste Lucy einfach, lud die Taxi-App herunter (es passiert nichts, wenn du das Internet benutzt, solange du dich von den sozialen Medien fernhältst) und ging vom Wohnungsgefängnis zu ihr. Zwei Stunden später war die Wohnung von der Polizei umstellt, sie brachten mich zur Polizeiwache, von wo mich der Inspektor mitnahm und in meine Wohnung zurückbrachte.

2. Einmal schafften wir es, Arzttermine in derselben Klinik zur gleichen Zeit zu vereinbaren und trafen uns im Röntgenkeller. Diesen Plan hatten wir schon seit ein paar Wochen ausgearbeitet.
Keiner hat es herausgefunden.

WIR BRECHEN DIE REGELN

3. Dann wurden wir beide zu einer Berufungsverhandlung gebracht. An diesem Tag hatte jemand das Gericht mit einer falschen Bombendrohung angerufen, so dass die Leute aus dem Gebäude evakuiert wurden. Wir standen zusammen auf der Straße und küssten uns. Der Ermittler war sehr unzufrieden, er rief unseren Inspektoren zu: "Hört auf damit, tut etwas!" Aber sie taten nichts.

Während der Festnahmekarussells sind Lucy und ich immer noch in den Strafprozess verwickelt. Wir haben elektronische Fußbänder an unseren Füßen. Jeden Tag bringt uns der Polizeiwagen von der Zelle im Haftzentrum zum Untersuchungsausschuss, um uns mit den dicken Büchern der Strafsache vertraut zu machen, die mit weißen Fäden genäht sind.

1 Instagram-Post = 6 dicke Strafprozessbücher.

Im Untersuchungsausschuss lesen wir diese Bücher zusammen mit den Anwälten, und dann werden wir wieder in die Zelle zurückgebracht. Wir haben Spaß, denn das ist das erste Mal in den sechs Monaten, in denen wir Komplizinnen sind, dass wir die Nacht zusammen verbringen können.
Im Herbst erhalten wir endlich das Urteil in unseren Strafverfahren. Die elektronischen Armbänder müssen an unseren Knöcheln bleiben, aber jetzt können wir in der gleichen Wohnung bleiben und diese tagsüber verlassen, wenn das Urteil endlich in der Strafvollzugsbehörde eintrifft.

 

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Nawalny sagt:  „In Deutschland zu sein war nicht meine Wahl, es ist ein großartiges Land, aber ich bin nicht freiwillig hier. Er steht auf einer Anhöhe mit Blick auf einen deutschen Vorort hinter ihm. In einer blauen Jacke und mit einem ernsthaft dünnen Gesicht. „Aber ich habe ein Ticket nach Hause gekauft! Ich kehre am 17. Januar mit der Pobeda-Maschine nach Moskau zurück. Komm und triff mich!“

Tickets nach Hause
Der Flug von Berlin nach Moskau ist für Journalist*innen ausverkauft. Nawalny betritt unter Applaus das Flugzeug. Kameras, Telefone, Fragen, OP-Masken. „Hallo, alle zusammen“, sagt Nawalny, und selbst durch die Maske ist zu erkennen, dass er lächelt.

„Alexej! Haben Sie keine Angst?“
„Alexej! Sind Sie nicht darüber besorgt, verhaftet zu werden, wenn Sie landen?“
„Alexej! Wie fühlen Sie sich?“

„Ich fühle mich als Bürger Russlands, der das absolute Recht hat, in seine Heimat zurückzukehren“, sagt Nawalny und drängt sich durch die Menge der Journalist*innen.
Wir gehen zu ihm. Lucy und ich sitzen im Auto unseres Anwalts, es ist alt und kaputt, ohne Rücksitz, wir fahren langsam durch den Stau, wir wollen nicht zu spät kommen, aber viele Leute wollen das. Am Flughafen Wnukowo - eine Menschenmenge. Ein aufgeregtes Gedränge, bei dem die Augen der Leute von ihren Handys zu den Türen und wieder zurück wandern. Zweitausend Menschen. Einige haben Blumen dabei, andere tragen Plakate mit der Aufschrift „Wir sind stolz auf dich“. Die Polizei beginnt, die Menschen aus dem Flughafengebäude zu drängen. Die Festnahmen beginnen. Diejenigen, die gekommen sind, um Navalny zu treffen, werden in Avtozaks (=Polizeiautos) gezerrt. Polizisten des Zentrums E mischen sich unter die Menschen. 

In einer Höhe von 10.000 Metern schauen Navalny und seine Frau Yuliya die Serie „Rick and Morty“ auf einem Laptop. Yuliya versteht alles. Sie versteht, dass dies seine letzten zwei Stunden in Freiheit sind. Ihre letzten zwei Stunden in Freiheit. Sie weiß, dass sie ihn wegbringen werden, sobald das Flugzeug landet. Für eine lange Zeit. Aber sie weiß noch nicht, dass es für immer sein wird. Sie lachen, blicken zurück und teilen sich ein Paar Kopfhörer.

Der Pilot verkündet, dass sie aus technischen Gründen nicht auf dem Flughafen Wnukowo landen werden. Das Flugzeug ändert seinen Kurs. Eine Änderung der Route, die Tausende von Menschen verfolgen. Wir werden den anderen Flughafen nicht mehr rechtzeitig erreichen. Unser Anwalt zieht eine Person aus der Gruppe der Festgenommenen heraus. Ich trinke süßen Kaffee aus einem Automaten und schaue auf mein Handy. Und dann schaue ich mich um. Gegenüber von mir befindet sich ein Geschäft mit einer Werbung für Sportbekleidung - ein Sponsor der Olympischen Spiele, wo die Kosaken uns verprügelt haben.

Das Mutterland zu lieben

Warum sind Sie zurückgekommen?
Bei der Beantwortung dieser Frage fühle ich mich bereits aus zwei Gründen genervt. Erstens ärgere ich mich über mich selbst, weil ich nicht in der Lage bin, die richtigen Worte zu finden, damit jeder es versteht und aufhört, mich zu fragen. Zweitens bin ich genervt von der russischen Politik der letzten zehn Jahre, die der Gesellschaft einen Zynismus und eine Vorliebe für Verschwörungen eingetrichtert hat, so dass die Menschen deinen Motiven einfach nicht trauen. Wenn man zurückkommt, bedeutet das, dass man mit jemandem ein Geschäft gemacht haben muss. Aber es hat nicht geklappt. Oder es hat noch nicht geklappt. Es gibt eine Art raffinierten Plan, bei dem die Türme des Kremls eine Rolle spielen. Auf jeden Fall muss es einen GEHEIMEN Grund dafür geben. Schließlich ist in der Politik nicht alles so, wie es scheint.

Aber es gibt keine Geheimnisse oder Tricks. Es ist eigentlich ganz einfach.
Ich habe mein Land und meine Überzeugungen. Und ich will weder meinem Land noch meinen Überzeugungen den Rücken kehren. Und ich kann weder das eine noch das andere verraten. Wenn seine Überzeugungen einem etwas wert sind, dann müssen man zu ihnen stehen. Und wenn nötig auch dafür bereit sein, dafür den Preis zu zahlen.

Und wenn man dazu nicht bereit ist, dann hat man keine Überzeugungen. Man denkt nur, man habe welche. Aber es sind keine Überzeugungen oder Prinzipien - nur Gedanken in seinem Kopf.

Es wird eine andere Erwartung an mich gestellt. Ich bin durch das Land gereist und habe von der Bühne aus verkündet: „Ich verspreche, euch nicht im Stich zu lassen, euch nicht zu betrügen und euch nicht zurückzulassen". Mit meiner Rückkehr habe ich mein Versprechen gegenüber meinen Wähler*innen erfüllt. Es muss schließlich eine Zeit kommen, in der sie nicht belogen werden.

-Alexej Nawalny

Sie nehmen ihn bei der Passkontrolle fest. Das Flugzeug musste umgeleitet werden, um ihm das Gefühl zu geben, auf sich allein gestellt zu sein. Die Menge der Menschen, die ihn lieben, bleibt in einer anderen Ecke der Stadt zurück. Bewunderung und Fassungslosigkeit, die Titelseiten der Zeitungen der Welt und hinter den Kulissen geführte Verhandlungen. Nawalnys Aktion ist eine Aktion mit einem großen „A“ - in das Mutterland zurückzukehren, das dich umbringen wird. Aber das weiß er noch nicht, und wir wissen es auch nicht. Wir beobachten die Ermittlungen seines Teams über den Palast von Putin, wir lesen die Ankündigung eines nicht autorisierten Protests. Es lohnt sich, für ihn auf die Straße zu gehen. Ein Strafverfahren wartet auf uns. Es wartet auf viele von uns, aber unter den vielen erwartet es auch uns beide - Lucy und mich, die wir auf verschiedenen Bänken in einem verlassenen nächtlichen Flughafen sitzen.

 

 

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ACTIVISTS’ FRONT DOORS, 2022
[HAUSTÜREN DER AKTIVISTEN]

(Schwarzes Klebeband, weißer Marker)


"Lasst uns den Krieg beenden"
Rita Flores' Haustür - Pussy Riot-Aktivistin, Moskau

"Hier lebt der Verräter"
Haustür von Alexey Milovanov - Aktivist, Kaliningrad

"Verkaufe dein Vaterland nicht, Schlampe"
Haustür von Olga Misik - Aktivistin, Moskau

"Verkaufe dein Vaterland nicht, Dima"
Haustür von Dima Ivanov - Aktivist, Moskau

"Verräterin"
Haustür von Kristina Vorotnikova - Aktivistin, St. Petersburg

"Verkaufe nicht dein Mutterland, Kollaborateurin"
Haustür von Lucy Shtein - Pussy Riot-Aktivistin, Moskau

"Wir wissen, was du getan hast, Nazi"
Haustür von Daria Heikinen - Aktivistin, St. Petersburg

Nach Kriegsbeginn begannen die Massenverfolgungen und Inhaftierungen all derjenigen, die gegen den Krieg protestierten. Die Kriegszensur wurde eingeführt. Putins Regime verbot es sogar, den Krieg als Krieg zu bezeichnen, sondern nannte ihn stattdessen eine "besondere militärische Operation".
Das Hauptemblem und das neue Hakenkreuz ist der Buchstabe Z.
Das Zentrum E koordinierte diese Angriffe auf die Türen von Aktivist*innen und bezeichnete sie als Verräter*innen, ausländische Agent*innen usw.

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ESCAPE, 2022
[FLUCHT]

Ort
Moskau - Europa

Kontext
Der Krieg hatte begonnen. Als ich für 15 Tage auf das Verhaftungskarussell gesetzt wurde, war das Zentrum E ständig bei uns zu Hause im Einsatz, also brauchte Lucy eine Verkleidung, um zu gehen. Eine leuchtend grüne Uniform für Lebensmittelkuriere - Lucy kauft sie bei einem Gebrauchtwarenladen, wo man in Russland alles kaufen kann. Es ist die perfekte Verkleidung - man ist gleichzeitig von überall sichtbar und für alle unsichtbar. Die Kuriere bewegen sich ständig in der Stadt und gehen in die Gebäude hinein und wieder heraus, und niemand beachtet sie.

Früh am Morgen zieht Lucy die Uniform an, steckt Mr. Rat in die Thermotasche auf ihrem Rücken und verlässt die Wohnung. Bis die Polizei zur Besinnung kommt, sind Lucy und Mr. Rat schon in Weißrussland.

Lucy gibt die Uniform dann an mich weiter, und sie wird sich als nützlich erweisen, als ich mich endlich entschließe, auszureisen, um der Ukraine zu helfen, den Krieg zu gewinnen. Sie war sehr nützlich, denn das Haus, in dem ich wohnte, war von der Polizei umstellt. Mit dem Anzug konnte ich unbemerkt durch die Hintertür verschwinden.

Lieber Mr. Rat, danke, dass du diese Reise mit uns geteilt hast! Ruhe in Frieden, unser geliebter bester Freund, das freundlichste aller Geschöpfe
Lucy und Masha
→ Mascha und Lucy stehen auf der russischen Fahndungsliste.

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PUTINS ASHES, 2022
[PUTINS ASCHE]

Kontext
Mitglieder von Pussy Riot verbrennen ein 3 x 3 Meter Portrait von Putin, veranstalten Rituale und sprechen Zaubersprüche mit dem Ziel, Putin zu vertreiben.

→ Einige Monate später wurde ein Strafverfahren gegen Nadya nach dem „Pussy Riot“-Strafgesetz wegen „Verletzung der Gefühle von Gläubigen“ eingeleitet. Dieser Strafartikel wurde im Jahr 2012 in Russlands Strafgesetzbuch eingeführt, während Pussy Riot Mitglieder für "Punk Prayer" vor Gericht standen. Nadya wurde auf Russlands Fahndungsliste gesetzt.

 

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SCARECROW, 2022
[VOGELSCHEUCHE] 

Ort
Tiblisi, Georgien

Kontext
Die Aktion ist zeitlich auf das Ende des Winters und den Beginn des Frühlings abgestimmt, den Übergang vom Schlechten zum Guten.

 Nachdem das Lagerfeuer entzündet war, begannen die Russ*innen, die sich zu der Kundgebung versammelt hatten und die in den letzten Wochen größtenteils abgereist waren, sowie die in Georgien lebenden Weißrussen und Ukrainer zu tanzen.

"Wie Zelensky sagte: 'Das Leben wird den Tod besiegen, und das Licht wird die Dunkelheit besiegen', und Putin wird für alle Verbrechen in Den Haag bestraft werden. Wir wissen ganz sicher - das Gute wird siegen."

→ Gegen Anna Kuzminykh wurde ein Strafverfahren in Russland eingeleitet, obwohl die Aktion außerhalb des Landes stattgefunden hat.

 

GRAFFITI

→ Eine Festnahme in der Schweiz

 

MAMA DON’T WATCH TV, 2022
[MAMA GUCK KEIN FERNSEHEN]

Am 24. Februar 2022 begann Russland einen groß angelegten militärischen Angriff auf die Ukraine. Russische Bomben und Raketen zerstörten ukrainische Häuser, Schulen und Krankenhäuser, verwüsteten Städte und zerstörten Leben.
Wir glauben, dass Putins Regime ein Terrorregime ist und Putin selbst, seine Beamt*innen, Generäle und Propagandist*innen Kriegsverbrecher*innen sind.
Russland hat seine militärische Aggression auf dem Territorium der Ukraine seit 2014 fortgesetzt, als russische Truppen die Krim annektierten und mit der Besetzung der Region Donbass begannen. Seitdem muss die Ukraine jeden Tag um ihr Lebensrecht und ihre Freiheit kämpfen, um ihre Souveränität zu gewährleisten.

Wir rufen auf:
1. Ein EMBARGO für den Kauf von russischem Öl und Gas sowie für den Verkauf von Waffen und Polizeimunition an Russland.
2. SICHERN Sie die westlichen Bankkonten und den Besitz russischer Beamter und Oligarch*innen und führen Sie persönliche Sanktionen gegen sie ein.
3. Ein INTERNATIONALES TRIBUNAL, um Wladimir Putin, Mitarbeiter*innen der russischen Staatspropaganda, Armeeoffiziere und alle, die für den Völkermord an der ukrainischen Nation verantwortlich sind, vor Gericht zu stellen.

Europa ist weiterhin Käufer von russischen Öl und Gas. Deutschland hat im letzten Jahr mehr als 12 Millionen Euro für russiches Gas ausgegeben.

Mit diesem Geld kauft Putin Waffen und Drohnenvon seinen Verbündeten – Iran, Nord-Korea und China. Mit diesen Waffen töten die russische Armee Ukrainer*innen.

Um die 50000 Ukrainer*innen sind schon wegen der „russischen Welt“ des Todes gestorben, die Putin bringt.

Indem man weiterhin russiches Öl und Gas kaufen, trägt man zu Putins „russischer Welt“ bei, welche nicht weit entfernt ist und zu einem kommen kann.

 

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SWAN LAKE
[SCHWANENSEE]

Die russische Staatspropaganda vergiftet die Herzen und Gehirne der Menschen mit Hass. Putins Propagandisten sind nicht weniger Kriegsverbrecher*innen als die Soldat*innen, die die Zivilbevölkerung der Ukraine töten und vergewaltigen, oder die Generäle, die diese Befehle geben. Der Kult des Sieges ist zum Sammelpunkt des neuen Faschismus in Russland geworden.
Nach dem Einmarsch in der Ukraine wurden in den Schulen Lektionen über "Zwangspatriotismus" eingeführt. Lehrer*innen zwingen Gruppen von Schüler*innen, sich in Formationen aufzustellen und mit ihren Körpern in Klassenzimmern und Schulsporthallen riesige Buchstaben Z zu buchstabieren, um ihre Unterstützung für den Krieg zu zeigen. In ganz Russland werden die Kinder gezwungen, "freundliche Briefe" an die Besatzungssoldaten zu schreiben. In Jekaterinburg schrieb der Fünftklässler Timofej in seinem Brief, dass er sich wünscht, dass das Militär "nach Hause zurückkehrt, keine Menschen auf fremdem Boden tötet und keinen Schaden anrichtet". Der Lehrer verurteilte das Kind und es wurde von seinen Mitschüler*innen wegen "unzureichendem Patriotismus" schikaniert. "Soldat, töte keine Menschen" wurde von einem Jungen geschrieben und hat uns dazu inspiriert, ein Lied zu schreiben.

Dieser, auf den ersten Blick unsichtbare und stille Protest eines Kindes gegen den Krieg ist nicht der einzige. Die Propaganda hat dafür gesorgt, dass Kinder, die eine Antikriegshaltung einnehmen, schikaniert, geschlagen und in Waisenhäuser gesteckt werden. Kinder werden darauf vorbereitet, Fleisch zu werden - "das Glück des Vaterlandes ist wichtiger als das Leben."

Wir haben das musikalische Thema von Tschaikowskis Schwanensee als Grundlage für das Lied genommen. Es war dieses Ballett, das das Fernsehen in der Sowjetunion ausstrahlte, um die Realität zu verschleiern.

ILLUSTRATION „RUSSIAN PROPAGANDA“ [RUSSISCHE PROPAGANDA]
Ostankino Turm

Sprechblase unten: „Verbrennt diesen Mist“

Linke Spalte von oben nach unten:
„Die Kyiv Gang, bestehend aus Neo-Nazis und Drogenabhängigen, hat die gesamte Ukrainische Bevölkerung als Geisel genommen“
„Welche Verhandlungen kann man mit dem Teufel führen! Sie haben schon immer gelogen. Dies ist das Fundament der satanischen westlichen Zivilisation“
„Homosexuelle sollten von Blutspenden und Spermaspenden ausgeschlossen werden und ihre Herzen sollen im Falle eines Autounfalls vergraben oder verbrannt werden“

Rechte Spalte von oben nach unten:
„Niemand kämpft gegen die Ukraine, die Ukraine wird befreit“
„Wir kämpfen dafür, dass die menschliche Rasse in ihrer originalen Form besteht“
„Russland ist das einzige Land der Erde welches die Kapazitäten hat, die U.S.A in radioaktive Asche zu verwandeln“

Bilder: „Velvet Terrorism. Pussy Riot’s Russia“, Ausstellungsansichten, Haus der Kunst 2024. Foto: Maximilian Geuter