Erst allmählich kann sich das Auge innerhalb der kleinformatigen Bilder von Victor Man orientieren, und aus den Schwarz-, Grau- und Grüntönen treten die Konturen der Bildmotive hervor. Durch das schrittweise Erkennen gleichen die Bilder einer Schwelle, einem Ort des Übergangs in eine andere, eine innere Wirklichkeit. Der Raum, der sich im Schutz der Dunkelheit in Victor Mans Bildern öffnet, führt in eine geheimnisvolle Welt, in der Alltägliches und Phantastisches, Mythos und Fetisch, individuelle Erfahrung und kunstgeschichtliche Verweise, das Männliche und das Weibliche, Mensch und Tier miteinander verschmelzen.
Der magische Bildkosmos umfasst Portraits und Stillleben genauso wie traumbildhafte und okkultistisch anmutende, auch erotische Sujets. Immer haben die Bilder etwas Zeitloses, das ihren geheimnisvollen Reiz noch verstärkt. Ein wiederkehrendes Motiv ist das der Enthauptung: Eine sitzende Figur, deren Kopf durch das Bildformat abgeschnitten ist, hält einen Kopf auf ihren Knien. Ob die Figur weiblich oder männlich ist bleibt unklar. Das Motiv erinnert an das Bildprogramm von Judith und Holofernes oder Salome; die Zweideutigkeit des Geschlechterspiels lässt aber ebenso Einflüsse aus dem Surrealismus erahnen.
"Zephir", der Titel der Ausstellung, treibt das Vexierspiel der Verschleierung und Neueinschreibung weiter voran: Er nimmt nicht, wie man zunächst vermuten könnte, auf die Windgottheit aus der griechischen Mythologie Bezug, die den milden Westwind und damit den Frühling verkörpert; der Titel zitiert die aus einer Kurzgeschichte des radikalen, untergetauchten rumänischen Schriftstellers Alexandru Monciu-Sudinski stammende, übel riechende Walgruppe, die in einem alptraumhaften Szenario eine Stadt heimsucht.
"Zephir" zeigt neben einem Überblick über Mans bisheriges Werk neue Gemälde und Neonarbeiten. Die Präsentation zeichnet sich durch eine besondere Ausstellungsarchitektur und Inszenierung der Werke aus: Verwinkelte, enge Räume eröffnen kapellenartige Nischen und fordern zum nahen Herantreten an die Bilder auf; farbig getönte und speziell bearbeitete Wände (Marmorino-Technik) und die punktuelle Beleuchtung der Gemälde, die damit von innen heraus zu leuchten scheinen, bekräftigen die Intensität und Intimität der Seherfahrung. Erklärungen geben die Bilder allerdings nie; Victor Mans geheimnisvolles Spiel mit Andeutungen lässt den Betrachter vielmehr stets den Zustand einer permanent möglichen Umkehrung aller Bedeutungen erahnen.
Victor Man wurde von der Deutschen Bank als "Künstler des Jahres" 2014 ausgezeichnet.