"Das Mädchen mit dem Perlenohrring" von Jan Vermeer zählt zu den bekanntesten Beispielen von "Tronies" – einer Bildform, der sich auch andere niederländische Maler wie Rembrandt, Rubens und van Dyck gerne gewidmet haben.
Tronies, auch bekannt als "Charakterköpfe", wurden in der Vergangenheit nicht selten mit den Porträts individueller Persönlichkeiten verwechselt. Anders als diese, wurden sie jedoch nicht als Auftragsarbeiten, sondern für den freien Markt geschaffen. Ihre Funktionen sind daher gänzlich andere: Tronies entstehen zwar ebenso wie Porträts nach dem lebenden Modell, fokussieren jedoch nicht auf die Darstellung einer bestimmten Person mit detailliert geschildertem Beiwerk, sondern loten das Spektrum menschlicher Physiognomie und Gefühlsäußerung aus: Vor neutralem Hintergrund ist eine Halbfigur zu sehen, deren Gesicht ebenso realistisch wie ausdrucksstark dargestellt ist. Tronies zeichnen sich durch eine besonders virtuose Handhabung der künstlerischen Mittel aus und spiegeln charakterologische Vorstellungen, die der Frühgeschichte der Psychologie angehören.
Um die sichtbare Äußerung von Affekten geht es auf einer reflektierten Ebene auch bei Marlene Dumas (*1953). Die Gemälde und Zeichnungen der südafrikanischen Künstlerin, die seit 1976 in Amsterdam lebt, entstehen – anders als die Tronies des Goldenen Zeitalters – nicht nach der Natur, sondern auf der Basis fotografischer Reproduktionen aus Büchern und Printmedien. Ihr Duktus ist dabei von Bild zu Bild unterschiedlich: Dumas arbeitet mit dem Pinsel, spritzt Farbe gegen die Leinwand, lässt wässrige Tusche über Papier laufen, schmiert, wischt, setzt freie Flächen in Kontrast zu dick aufgetragener Farbe.
Auf den ersten Blick wirken ihre Bilder spontan, fast expressionistisch; in Wirklichkeit aber erwachsen sie aus einer wohl bedachten, konzeptuellen Analyse des abgebildeten Sujets. Marlene Dumas konzentriert sich in ihren Arbeiten auf den menschlichen Körper und das Gesicht. Ihre Themen sind die menschlichen "basic drives": Geburt, Liebe, Sex, Leiden, Tod. Nach den großen Retrospektiven in Japan, Südafrika und Nordamerika präsentiert das Haus der Kunst nun ausgewählte Gemälde und Zeichnungen – darunter auch nie gezeigte – im Dialog mit Glanzlichtern der niederländischen Malerei.