Gekürzte Version. Den ungekürzten Text finden Sie im Katalog der Ausstellung „Rebecca Horn“.

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In Rebecca Horns Werk […] besteht kein Zweifel, dass die Maschine intelligent ist, dass die Künstlerin damit experimentiert und sie, nicht die Erfindung, die Schöpferin des maschinellen Anderen ist.

Der weibliche Cyborg ist selbst seit Langem Gegenstand feministischer Überlegungen. In ihrer bahnbrechenden Schrift „Ein Manifest für Cyborgs. Feminismus im Streit mit den Technowissenschaften“ von 1985 formulierte Donna Haraway ihre Weigerung, den weiblichen Körper jenseits definitorischer Grenzen zu verorten, die um eine Trennung von Natur und Kultur herum organisiert waren, aber im 20. Jahrhundert in das unübersichtliche Terrain der Kontinuitäten zwischen Mensch und Maschine diffundierten. Während frühere Formen feministischen Denkens Frauen und Männer als Gegensätze betrachteten und diese oppositionelle Logik in allen möglichen sozialen Netzwerken, einschließlich Forschung und Technologie, installierten, durchbrach die Wissenschaftlerin Haraway nicht nur ein Geflecht essenzialistischer Ideen, sondern eine Struktur des Essenzialismus, die ganze Bereiche menschlichen Verhaltens als männlich oder weiblich kennzeichnete. Solchen ideologischen Systemen zufolge stellten Frauen eine authentische Form der Verkörperung dar, die der Natur nahesteht, eine Quelle der Erziehung ist und eine Barriere zwischen dem Menschlichen und dem Maschinellen bildet. Haraway drehte diese Logik um, indem sie erklärte, sie wäre „lieber ein Cyborg als eine Göttin“.

Doch der Cyborg war für Haraway nicht einfach eine feministische Fantasie oder eine rhetorische Wendung. Sie schrieb: „Im späten 20. Jahrhundert, in unserer Zeit, einer mythischen Zeit, haben wir uns alle in Chimären, theoretisierte und fabrizierte Hybride aus Maschine und Organismus verwandelt, kurz, wir sind Cyborgs. Cyborgs sind unsere Ontologie. Sie definieren unsere Politik.“ Mit anderen Worten: Wir alle sind bereits Cyborgs. Doch schon ein Jahrzehnt vor dieser weitsichtigen feministischen Aussage hatte sich Rebecca Horn eingehend mit der Beziehung zwischen Maschine und Körper befasst und die maschinellen Erweiterungen des weiblichen Körpers erforscht, welche die einfache Gleichsetzung von Weiblichkeit und Natur erheblich durcheinanderbringen.

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Und wenn es keine Körper gibt, was geschieht, wenn Horn den Körper ganz aus dem Bild entfernt? Horn verballhornte Vorstellungen von Virtuosentum, indem sie eine Maschine konstruierte, die Tinte über Plattformen von Büchern sprüht, die aufgeschlagen darauf warten, das „Wort“ zu empfangen. Die Arbeit Flying Books Under Black Rain Painting, die 2014 in den Harvard Art Museums installiert wurde, zeigt eine Maschine, die schwarze Tinte über die Wand der Galerie und auf die geöffneten Bücher sprüht. Drei Titel hatte die Künstlerin für diese Installation ausgewählt: Fernando Pessoas Das Buch der Unruhe, Franz Kafkas Amerika und James Joyces Ulysses. Alle drei Romane, die um das Selbst und um Städte, das Reisen und das Schreiben kreisen, werden zu Oberflächen für den herabfallenden schwarzen Regen und legen Zeugnis ab von der Arbeit nach ihrer Vollendung und der Demontage der Maschine. In jedem der Bücher weigert sich das Ich, in einer kohärenten Form zu erscheinen, und in mindestens einem der Werke verschwindet es sogar. Die Auswahl dieser Romane bietet daher einen ironischen Kommentar auf den Künstler oder die Künstlerin als unwesentlichen Bestandteil des Kunstwerks, das, einmal aufgebaut, ohne ein singuläres und kohärentes Ich, welches es leitet, fortbesteht.

Eine Maschine spritzt dunkle Farbe auf die weiße Wand.
Exhibition view “Rebecca Horn”, Haus der Kunst 2024. Foto: Markus Tretter © VG Bild-Kunst, Bonn, 2024.

Während Jackson Pollocks Farbspritzer als komplexer Ausdruck eines heroischen Selbst verstanden wurden, regnen Horns Spritzer schwarzer Tinte auf bereits geschriebene Bücher herab, nicht auf der Suche nach einer Bestätigung ihrer Größe oder ihrer virtuosen Intention, sondern lediglich nach einem Landeplatz. Indem sie Tinte auf die Schriften großer männlicher Autoren spritzt, mutet Horns Maschine wie ein Graffiti-Generator an, und die automatische Schrift, die sie erzeugt, kritzelt Botschaften der Störung und Auslöschung auf die schon verfassten, bedeutenden Texte der Kultur und die Wände des Eliteinstituts, das diese Begegnung stattfinden lässt.

Horns Maschinen begnügen sich nicht damit, Rollentausch anzubieten – Frauen statt Männer, Mechanik statt menschengemachte Kunst, Zufälligkeit statt absichtlicher Gesten – und treten damit eindeutig in einen Dialog mit den Erfindungen von Marcel Duchamp, Villiers de l’Isle-Adam und Fritz Lang. Doch wie Nancy Spector ausführt: „Von der Geisteshaltung her stehen ihre Apparaturen dem Techno-Mythos einer Donna Haraway nahe; deren radikale, das Geschlechtliche zerschlagende, weibliche Cyborgs nutzen ‚männliche‘ Technologien für ihre eigenen emanzipatorischen Anliegen“. Ich würde sogar noch weiter gehen und statt „männliche Technologie“ einfach „Technologie“ sagen, um darauf hinzuweisen, dass Horns Agenda die Maschine und das Geschlecht betrifft, aber nicht die geschlechtsspezifische Maschine.

Messingstäbe auf einer großen dunklen Platte im Ausstellungsraum.
Exhibition view “Rebecca Horn”, Haus der Kunst 2024. Foto: MarkusTretter © VG Bild-Kunst, Bonn, 2024.