Aufgabe der Provenienzforschung ist es, Herkunft und Vorbesitzer*innen von Kunstwerken und Kulturgütern ausfindig zu machen. Provenienzforscher*innen recherchieren die Biographie eines Objektes oder einer Sammlung und in diesem Zusammenhang oftmals auch die Lebensgeschichte der Besitzer*innen. Wann und zu welchem Anlass wurde ein Kunstwerk erworben? Unter welchen Umständen wechselte das Werk seine*n Eigentümer*in? Und was passierte danach?
Besondere Bedeutung kommt der Provenienzforschung im Kontext von NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kunst- und Kulturgegenständen und dem Unrecht, das deren früheren Eigentümer*innen erlitten hatten, zu. Der NS-Staat bemächtigte sich systematisch des Kunstbesitzes von Jüd*innen, das zumeist in den Besitz privater oder öffentlicher Sammlungen kam. Während des Zweiten Weltkriegs plünderten Akteur*innen und Gefolgsleute nationalsozialistischer Organisationen und Behörden in ganz Europa Museen, Bibliotheken und Schlösser. Hinzu kam die Ausplünderung jüdischer Privatsammlungen und Galerien, in denen sich auch zahlreiche Werke der verfemten Moderne befanden, die von der Gestapo beschlagnahmt und gegen harte Währung veräußert wurden. Zwischen 1937 und 1941 wurden zudem an die 16.000 Werke der Moderne aus deutschen Museen und Sammlungen beschlagnahmt und größtenteils als Devisenbringer oder Tauschobjekte auf dem internationalen Kunstmarkt veräußert. Die Femeschau „Entartete Kunst“, die einen Tag nach Eröffnung des Hauses der Deutschen Kunst 1937 in den Räumen des Galeriegebäudes am Münchner Hofgarten eröffnet wurde und rund 600 Werke der Moderne als „entartet“ diffamierte, gehört zu den dunkelsten Kapiteln deutscher Kunst- und Museumsgeschichte.
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs bemühten sich die westlichen Alliierten und jüdischen Organisationen um Restitution, doch nur wenige Besitzverhältnisse wurden ermittelt und Kunst- und Kulturgüter ungeklärter Herkunft verblieben in öffentlicher Hand. Erst 1998 verpflichteten sich in den „Washington Principles on Nazi-Confiscated Art“ 44 Staaten, 12 nichtstaatliche Organisationen und der Vatikan Werke, die im Zusammenhang mit NS-Verfolgung entzogen worden waren, ausfindig zu machen und ihren früheren Eigentümer*innen oder deren Erb*innen zurückzuerstatten bzw. eine Entschädigung zu leisten. Auch über zwei Jahrzehnte nach dieser Erklärung sind die Überprüfungen, Recherchen und Anerkennungen noch längst nicht abgeschlossen. 2001 wurde die Lost-Art-Datenbank in Magdeburg eingerichtet, in der Such- und Fundmeldungen von Institutionen und Privatpersonen gesammelt und öffentlich dokumentiert werden. 2015 gründete sich der Forschungsverbund Provenienzforschung Bayern (FPB) auf Initiative des Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst. Ziel der derzeit 15 Mitgliedsinstitutionen und 11 Kooperationspartner*innen ist es, sich in der Provenienzforschung gegenseitig zu vernetzen, zu unterstützen und Quellen zugänglich zu machen. Das Haus der Kunst ist seit 2019 Kooperationspartner des Forschungsverbundes.
Seit Mitte der 1990er Jahre setzt sich das Haus der Kunst kontinuierlich mit seiner eigenen Vergangenheit in verschiedenen Projekten auseinander. Von 1933 bis 1937 als „Haus der Deutschen Kunst“ errichtet, war das Gebäude an der Münchner Prinzregentenstraße eines der ersten architektonischen Vorzeigeprojekte des NS-Regimes und diente der Zurschaustellung nationalsozialistischer Kunstpolitik.
2004/05 öffnete das Haus der Kunst erstmals sein Archiv. Die bei der Erschließung aufgefundenen Dokumente sind auch für die Provenienzforschung relevant. So geben zum Beispiel die Künstlerkartei und die Kontenblätter des „Hauses der Deutschen Kunst“ Auskunft über Herkunft und Verkauf der in den „Großen Deutschen Kunstausstellungen“ gezeigten Exponate. Ankäufe aus diesen wichtigsten Werk- und Verkaufsschauen „deutscher Kunst“ befinden sich auch in Sammlungen ehemaliger Funktionäre und Organisationen der NSDAP, die auf Beschluss des Alliierten Kontrollrates dem Freistaat Bayern übereignet wurden und als „Überweisungen aus Staatsbesitz“ in den Bestand bayerischer Museen gelangten. Im Bestand der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen befinden sich außerdem auch Gemälde und graphische Arbeiten, die nach Ende des Zweiten Weltkriegs im ehemaligen „Haus der Deutschen Kunst“ aufgefunden wurden und deren Provenienz nicht geklärt wurde. Auch für Museen und Sammlungen, die im Kontext der Provenienzforschung ihre Geschichte und Ankaufspolitik in der NS-Zeit untersuchen, ist der Archivbestand des Haus der Kunst relevant.
Nach Kriegsende - und unter dem neuen Namen „Haus der Kunst“ - brach für das historisch belastete Gebäude eine neue Zukunft an. Schon die ersten Ausstellungen prägten das Profil des Hauses als Ort für die ehemals verfemte Moderne. Diese Form der symbolischen Wiedergutmachung fand weitreichende Wahrnehmung, sie spiegelt jedoch auch die Haltung der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft wider, die nazistische Vergangenheit vielfach auf Distanz zu halten. Im Jahr 1962 erinnerte die Ausstellung „Entartete Kunst – Bildersturm vor 25 Jahre“ an den Bildersturm der Nationalsozialisten und zeigte rund 350 Werke, die während der NS-Zeit aus deutschen Museen beschlagnahmt wurden.
Auch nach 1945 gelangten Kunstwerke und Objekte, die ihren Eigentümer*innen geraubt oder abgepresst wurden, durch Ankauf oder Schenkung in öffentliche oder private Sammlungen, wurden auf dem Kunstmarkt angeboten oder ausgestellt. Die Kataloge und Korrespondenzen der Ausstellungen im Haus der Kunst sind wichtiges Quellenmaterialien, um Kunstwerke identifizieren und Eigentumsgeschichten überprüfen und erschließen zu können. Darüber hinaus sind diese Quellen so interessant, weil sie Geschäftigkeiten und Kontinuitäten nach 1945 abbilden. So findet sich unter den Leihgeber*innen der Gedächtnisschau „Der Blaue Reiter“ (1949) – mit der nach Aussage des damaligen Staatssekretärs Dieter Sattler das ehemalige Haus der Deutschen Kunst „entnazifiziert“ worden sei - auch Hildebrand Gurlitt, der zu den prominenten Kunsthändler*innen der Nationalsozialisten gehörte und sein Unternehmen in der Nachkriegszeit erfolgreich fortführen konnte.
Als Institution ohne eigene Sammlung hat das Haus der Kunst in der Provenienzforschung vor allem eine unterstützende Rolle. Dies betrifft nicht nur Recherchen zu Kunstwerken aus NS-Besitz und Provenienzen im Zusammenhang mit NS-Raubkunst oder in der DDR enteignete Objekte, sondern auch Forschungen zu Kulturgut, dass während der Kolonialzeit außer Landes gebracht wurde und in westliche Sammlungen und Museen gelangte. In den 1970er bis 1990er Jahren wurden solche Exponate im Haus der Kunst im Rahmen von aufwändigen Sonderausstellungen gezeigt. In den Ausstellungskatalogen und –unterlagen lassen sich Hinweise zu kolonialen Kulturobjekten finden. Nicht zuletzt durch die Debatte um die Restitution der Benin-Bronzen rücken koloniale Kontexte zunehmend ins öffentliche Bewusstsein und erfordern auch in der Provenienzforschung eine – längst überfällige – Auseinandersetzung.
Sabine Brantl leitet das Archiv des Haus der Kunst und verantwortet u.a. die Ausstellungen in der Archiv Galerie. 2004 entwickelte sie ein Konzept für den Aufbau des Historischen Archivs des Haus der Kunst.