Philippe Parreno hat das Ausstellungserlebnis revolutioniert. Der französische Künstler choreografiert Ausstellungsräume nach einem Drehbuch, das alle Kunstwerke miteinander verknüpft, und in dessen Verlauf sich eine Reihe unerwarteter und miteinander verbundener Ereignisse entfalten. Seine Ausstellungen sind immersive Reisen, die parallele Realitäten miteinander verbinden und die Wahrnehmung von Raum, Zeit und Grenzen verändern.

Die Ausstellung „Voices“ verwandelt das Haus der Kunst in einen widerhallenden Organismus, der akustische und visuelle Begegnungen erzeugt. Stimmen, deren Herkunft ungewiss bleibt, steuern und gestalten die Ausstellung. Sie begleiten die Ereignisse und erzeugen einen Dialog über die Räume des Hauses und geografische Grenzen hinweg.

Im Mittelpunkt der Ausstellung steht ein kontinuierlicher Datenaustausch in Echtzeit zwischen dem Haus der Kunst und einer wüstenartigen Landschaft in Almeria, Spanien. Die von einer Turmantenne gesammelten Bilder, Töne und Daten werden kontinuierlich in die Ausstellung gestreamt und spiegeln die sich mit den Jahreszeiten verändernde Essenz des Ortes wider. Durch den Einsatz ökoakustischer Technologien und Biodaten versucht die filmartige Landschaft die oft unhörbaren Geräusche und unsichtbaren Ereignisse einzufangen.

Die übertragenen Daten aus Almeria werden vom sogenannten Brain – einem maßgeschneiderten Supercomputer – verarbeitet und auf das Verhalten der Objekte in der Ausstellung übertragen: eine Wand bewegt sich langsam, Lampen strahlen Wärme ab, Filmen schalten sich an und aus, mechanische Elemente heben und senken sich und Vitrinen geben ihren Inhalt als Reaktion auf elektrische Ströme preis. Die besondere Ausrichtung des Klangs – dreieckig bis spiralförmig – setzt die starre Architektur des Gebäudes außer Kraft.

Der Künstler Tino Sehgal erweitert die technologisch gesteuerte Umgebung durch Tänzer*innen, die mit den Besucher*innen und zu der Ausstellung sprechen. Sie verwenden ∂A – eine Sprache, die von Parreno erfunden wurde und sich in Echtzeit während der gesamten Laufzeit der Ausstellung weiterentwickeln wird. Der Klang der Sprache mit ihren fragmentierten Worten löst Reaktionen in der Ausstellung aus: die Objekte, Klänge und Lichter bewegen und verändern sich.

Eine weitere Stimme, deren Herkunft unklar und körperlos bleibt, scheint auf die Äußerungen der Tänzer*innen zu antworten. Es ist die Stimme der deutschen ARD Tagesschau-Sprecherin Susanne Daubner. Auch diese Stimme verwandelt den Raum, indem ihr Klang mit der Architektur verschmilzt und eine neue Resonanz erzeugt. Wie eine unsichtbare Gestalt manifestiert sie sich im Raum und tritt in Austausch mit der Umgebung. Die Sprache fungiert als eine Kraft der Transformation. Sie verwischt die Grenzen zwischen dem Sichtbaren und dem Hörbaren.

Die Ausstellung entfaltet vielfältige Dialoge: zwischen den Besucher*innen, den Tänzer*innen und den Räumen, zwischen München und dem weit entfernten wüstenähnlichen Gebiet in Spanien. Was hier geschieht, geschieht auch dort in Spanien, wo sich ein hybrides Ökosystem aus Kunst, Natur und Technologie in Echtzeit entwickelt. „Voices“ ist eine Landschaft, in der Ereignisse gemeinsam erzeugt werden, Schnittstellen verschwinden, Menschen und Nicht-Menschliches sich durch eine neue Sprache verbinden und sich das Ganze im Laufe der Zeit unerbittlich weiterentwickelt und transformiert.

„Voices“ wurde in Zusammenarbeit mit dem Leeum Museum of Art in Seoul (28.2.–7.7.24) konzipiert. Die beiden aufeinander abgestimmten jedoch unterschiedlichen Ausstellungen teilen sich gemeinsame Auftragswerke, ein Buch mit allen stimmbezogenen Texten von Philippe Parreno, einen Katalog sowie ein Gesamtkonzept der Zusammenarbeit über Kontinente, Kulturen und Sprachen hinweg. Im Rahmen der jeweiligen Ausstellungen präsentieren das Haus der Kunst und das Leeum Museum of Art die Publikation „Voices“, die erste Sammlung von Transkriptionen verschiedener Stimmen in Parrenos Kunstwerken, die der Künstler zwischen 1990 und 2021 kreiert hat.

Kuratiert von Andrea Lissoni und Lydia Antoniou mit Hanns Lennart Wiesner.

Die Ausstellung wird gefördert von der K.S. Fischer Stiftung Hamburg, Ulli und Uwe Kai-Stiftung und dem Circle of Friends of Philippe Parreno. Voices.

Ein Raum mit einer weiß leuchtenden Wand, um die Personen herum stehen.
„Philippe Parreno. Voices“, Ausstellungsansicht, Haus der Kunst, 2024. Foto: Andrea Rossetti.
Ein dunkler Raum mit einer abstrakten Skulptur in der Mitte.
„Philippe Parreno. Voices“, Ausstellungsansicht, Haus der Kunst, 2024. Foto: Andrea Rossetti.
An der Seite befindet sich eine gläserne, abstrakte Figur. Diese wirft Lichteffekte an die gegenüberliegende Wand.
„Philippe Parreno. Voices“, Ausstellungsansicht, Haus der Kunst, 2024. Foto: Andrea Rossetti.

Credits 

Sound Design
Nicolas Becker
with
Cengiz Hartlap
Lexx (Bronze AI)
And the voices of Isabel Sörling
and Johnny Rasse

Voice Model Generation
Pierre Lanchantin

Language Creation
David J. Peterson
Jessie Sams

Coding and Show control
Johan Lescure
Guillaume Buisson
Matthieu Gasnier 

Film El Almendral
Vincent Scotet
Flavio Manriquez
Brice Barbier
Luca Ungaro
Melia Roger
Liza Lamy 

Atelier Philippe Parreno 
Marie Auvity, Director
Emilien Abibou
Aurélien Cané
Pattara Chanchuerachai
Alexandre Khondji
Thibault Zambeaux
Julie Pellegrin

We would like to express our gratitude to Tagesschau’s news anchorwoman Susanne Daubner for speaking ∂A (2024), and to the artist Tino Sehgal for creating new live scenes for the exhibition at Haus der Kunst. We thank the dancer-singers Chris Scherer, Margherita D’Adamo, Emma Herschmann, Louise Höjer, Vera Pulido, Sandhya Daemgen, Leah Katz, and Hanako Hayakawa as well as Cora Giannola for making the work possible.

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