Chris Dercon, unser ehemaliger Direktor, hat einen sehr persönlichen und warmherzigen Nachruf auf den Sammler Herman Daled geschrieben.
Nach vielen Monaten schwerer Krankheit ist Herman Daled in den frühen Morgenstunden am Sonntag friedlich gestorben. Irgendwie muss er gewusst haben, dass Joe Biden dem Land, das er so oft besucht hatte, Frieden bringen würde. Herman fühlte sich in Chicago und New York, wo er oft gewesen war, sehr zu Hause. Viele der Künstlerinnen und Künstler, mit denen er vertraut war, deren Vertreter*innen und Kritiker*innen, waren Bürger*innen eines besseren Amerikas. Dies mag auch der Grund dafür gewesen sein, warum er den Großteil seiner Sammlung von Konzeptkunst dem Museum of Modern Art in New York anvertraut hat. Dessen Direktor Glenn Lowry schrieb am vergangenen Sonntag: Die Sammlung Daled ist eine der wichtigsten Neuerwerbungen in der Geschichte unseres Museums. Der Kurator des MoMA, Christoph Cherix, hatte die Ausstellung dieser Sammlung und der Archive von Herman und Nicole Daled im Frühling/Sommer 2010 im Haus der Kunst in München gesehen. Daraufhin hatte er dem Direktor und den Kollegen berichtet, dass ein möglicher Erwerb von "a bit of matter and a little bit more" ("von ein paar Sachen und noch ein bisschen mehr") ... in einzigartiger Weise die Geschichte der Konzeptkunst erzählen und illustrieren würde, auch in New York. Herman war begeistert. Wir im Haus der Kunst, die Kuratorin Patrizia Dander, der Kurator Ulrich Wilmes und ich, waren ein bisschen neidisch, als wir unsere lange Arbeit loslassen und sie über den Atlantik schicken mussten. Patrizia und Ulrich hatten Tage und Wochen in dem wunderbar heruntergekommenen Hotel Wolfers verbracht, Hermans Zuhause in Brüssel, das der legendäre Architekt Henri Van de Velde 1933 entworfen hatte. Die beiden waren wirklich die einzigen, die die unerschöpfliche Menge an Papieren, Dokumenten und Inventarkarten verstanden und damit auch die wahre Bedeutung dieses Unterfangens, das Herman selbst "die nichtexistierende Sammlung" genannt hatte. Jahre später drehte Joachim Olender unter diesem Titel einen schönen Film über Leben und Wirken von Herman Daled.
Letzten Sommer schrieb Ulrich Wilmes in einem Brief an Herman: "Ich habe von Okwui Enwezor gelernt, dass wir in der Gegenwart historisch denken müssen; das beschreibt perfekt, wie du dein Leben lebst." Ich durfte diesen Brief letzten Sonntag lesen, als ich an Hermans Sterbebett saß. In den letzten Monaten hatten sein Gesicht und seine Hände denselben Zauber, dieselbe Farbe, ja sogar dieselben Furchen bekommen wie die Mauern seines grandios gealterten Hauses. Es war, als ob der Besitzer mit dem Haus verschmolzen wäre. Sonst gibt es hier nichts zu sehen, hatte Herman stets zu Besuchern gesagt: nur mich und das Haus. Kunst solle nicht aufgehängt werden, sonst werde sie zu Dekor. Gut, wir haben verstanden!
Auf einer Exkursion nach Brüssel, bei der Herman selbst Gastgeber und Reiseführer war, waren die Mitglieder der Gesellschaft der Freunde tief beeindruckt von Charisma und Offenheit des Sammlers. „Jedes Mal, wenn ich eine Arbeit schön fand, wandte ich mich ab und sagte mir, dass ich sie verstanden hatte“ war für unsere Gruppe allerdings schwer zu verdauen. Für mich wurde dieser Ausspruch von Herman zum Motto. Natürlich liebte er schöne Dinge und Orte, und er las sogar über Mitgefühl durch Schönheit, und für die Schönheit. In den letzten Tagen seines Lebens las er "Venice Saved" von Simone Weil. Das Buch ist kurz vor ihrem Tod entstanden, die Autorin denkt darin über Leid und Erlösung nach, die im Zentrum unseres Daseins stehen. Genauso wie Weil hat sich auch Herman Daled trotz seiner langen Krankheit nie beklagt. Das letzte Mal, als ich mit ihm gesprochen habe, unterhielten wir uns darüber, wie man in einen tiefen Winterschlaf fällt. Hermans Sammlung wird weiter bestehen.
Chris Dercon, Paris, 10. November 2020