Die großformatigen Werke des kenianische Künstlers Michael Armitage entlarven den exotisierenden und erotisierenden Blick auf Afrika, als einer Projektionsfläche für eine vermeintliche Ursprünglichkeit. Zugleich verweisen sie auf ostafrikanische und europäische Themen und Maltraditionen.
Der junge britisch-kenianische Maler Michael Armitage (geb. 1984 in Nairobi, Kenia) ist binnen kürzester Zeit zu einer der spannendsten Stimmen der Gegenwartsmalerei avanciert. In seinen großformatigen, farblich nuancierten Ölgemälden verbindet er ostafrikanische und europäische Themen und Maltraditionen. Inspiration erwächst ihm aus tagespolitischen Ereignissen, Popkultur, Folklore und persönlichen Erinnerungen, die er zu mythisch aufgeladenen und traumhaft anmutenden Bildern verwebt. Mit „Paradise Edict“ hat Michael Armitage seine bislang umfassendste Präsentation in einem Museum, und zugleich seine erste in Deutschland.
Auf das durch die europäische Kunstgeschichte geschulte Auge wirken die Gemälde von Michael Armitage anziehend und seltsam vertraut wie bei einem Déjà-vu Erlebnis. In kompositorischen Elementen, Motiven oder Farbkombinationen findet sich die Ikonografie von Tizian, Francisco de Goya, Édouard Manet, Paul Gauguin, Vincent Van Gogh oder Egon Schiele wieder. So thematisiert der in Kenia aufgewachsene und an der Slade School of Art und der Royal Academy of Arts in London ausgebildete Maler geschickt den europäischen Blick und den damit verbundenen Exotismus in der Betrachtung des Anderen.
Ebenso inspirierend für seine Palette und Symbolik sind die Werke ostafrikanischer Künstler, denen in der Präsentation im Haus der Kunst im Sinne einer Hommage ein eigener Raum gewidmet ist.
Vermeintliche Ursprünglichkeit
Die Ausstellung „Paradise Edict“ vereint vier Werkgruppen, die seit 2014 entstanden sind. Den Auftakt bildet eine Gruppe von Gemälden, in deren Mittelpunkt Tiere stehen: Affen, Giraffen, Leoparden und Schlangen treiben wie Tricksterfiguren ein Vexierspiel mit dem Betrachter und scheinen ihm einen Spiegel vorzuhalten. Insbesondere Affen werden hierbei zu Sinnbildern für menschliche Eigenschaften. Die Werke entlarven zudem den spannungsgeladenen exotisierenden und erotisierenden Blick auf Afrika, als einer Projektionsfläche sowohl für das Wilde als auch für eine vermeintliche Ursprünglichkeit.
Michael Armitage malt auf Lubugo
Lubugo ist einem tuchähnlichen Material, das traditionell von den Baganda in Süd-Uganda aus der Rinde der Natalfeige gewonnen wird. Die Rinde wird vom Stamm gelöst und mit Holzwerkzeug geformt, bis sie elastisch und ebenmäßig ist; der verbleibende Stamm wird zur Regenerierung in Bananenblätter gehüllt. Traditionell wurde Lubugo bei Krönungs- und Heilungsritualen sowie als Leichentuch genutzt; mittlerweile kommt das Material auch im Kunsthandwerk zum Einsatz. Michael Armitage entdeckte Lubugo 2011 an einem Touristenstand in Nairobi. Dabei ist das Material nicht nur Farbträger seiner Gemälde und verortet seine Malerei somit im ostafrikanischen Raum, sondern beeinflusst auch den Malprozess selbst. Auf die Unregelmäßigkeiten seiner Oberfläche reagiert Armitage mit dem Auftragen mehrerer dünnflüssiger Lasuren. Bruch- oder Nahtstellen des Materials lässt er bis in die Komposition der Bilder hineinwirken; sie dienen als stets gegenwärtiger Hinweis auf deren Materialität und Körperhaftigkeit.
Europäische und ostafrikanische Allegorien
In einem zweiten Raum lassen großformatige Landschaftsbilder (2015-19) mit zeichenhaften Überlagerungen eine mythisch aufgeladene Umgebung sichtbar werden. Die Gemälde verweisen auf die politische Vergangenheit der Orte und spielen gleichzeitig auf unterschiedliche Naturbegriffe in Afrika und Europa an. Im daran anschließenden Raum liegt der Schwerpunkt auf der Darstellung der menschlichen Figur, wobei sich Armitage sowohl ostafrikanischer als auch europäischer Allegorien bedient und zu einem Hybrid verwebt.
Kenianische Parlamentswahlen von 2017
Im vierten Raum wird die vollständige „Kenyan Election Series“ präsentiert: acht Gemälde, die sich mit den umstrittenen kenianischen Parlamentswahlen von 2017 und den damit einhergehenden Unruhen beschäftigen. Der Künstler nahm damals an einer Großkundgebung der größten Oppositionspartei teil, bei welcher u.a. einige Teilnehmer auf die Äste eines Baumes geklettert waren. Mit Gemälden wie „The Fourth Estate“ stellt Armitage Bezüge zu den „Caprichos“ und „Disparates“ Francisco de Goyas her (z.B. „Disparate ridículo“, „Todos caerán“) und zielt, wie die Radierungen des spanischen Meisters, ins Zentrum menschlicher Unvernunft. Filmfootage und ostafrikanische Skulpturen, (Tusche-)Zeichnungen und Aquarelle auf Papier zeigen zudem, wie intensiv sich der Künstler mit der Darstellung von Gesten und Mimik auseinandersetzt.
70 Werke ostafrikanischer Künstler*innen
Den Abschluss bildet eine Präsentation von ca. 70 Werken des 20. Jahrhunderts aus Ostafrika, darunter figurative Malerei von Meek Gichugu, Jak Katarikawe, Asaph Ng’ethe Macua, Theresa Musoke, Elimo Njau, Edward Saidi Tingatinga, Sane Wadu und Skulpturen (Magdalene Odundo, Chelenge van Rampelberg und der Makonde). Sie setzt das Werk von Michael Armitage erstmals in Dialog mit den vorangegangenen Generationen und deren Formensprache.
Michael Armitage lebt und arbeitet in London und Nairobi. Seit März 2020, als er wegen des Lockdowns sein Londoner Atelier einige Wochen nicht nutzen konnte, entstand eine Reihe von Lithografien, die um die Themen Empathie und Fürsorge kreisen. Einzelne Blätter daraus werden in die Ausstellung integriert. Insgesamt sind seine wirkmächtigen Bilder Ergebnis eines vielschichtigen Arbeitsprozesses und Ausdruck essentieller Aspekte des Menschseins: Grausamkeit, Sexualität, Liebe ebenso wie Mythologien und Traumzustände. In ihnen verbinden sich Vergangenheit und Gegenwart, sowie Traditionen unterschiedlicher Kontinente.