Die Kapsel-Ausstellungen am Haus der Kunst bieten jungen, aufstrebenden Künstlerinnen und Künstlern aus aller Welt eine Gelegenheit, neuere Arbeiten in einem institutionellen Kontext vorzustellen. Die vierte Ausgabe dieser Reihe bespielen der aus Kolumbien stammende, in London lebenden Künstler Oscar Murillo und die russische Medienkünstlerin Polina Kanis.
Polina Kanis (geb. 1985 in Leningrad, heute Sankt Petersburg) erkundet die Grenzen zwischen Film, Fotografie und Performance immer wieder von Neuem. Während ihre frühen Videos sie in diversen Rollen zeigen, wie beispielsweise als Lehrerin oder Leiterin einer Fitnessstunde für Rentner, nehmen die jüngeren Arbeiten verstärkt eine Ästhetik des Kinofilms auf, in denen Kanis hinter der Kamera als Regisseurin arbeitet. Geprägt von einer spürbaren Spannung zwischen dem dargestellten Szenario und der Welt jenseits dieses einen Bildausschnitts, veranschaulichen die Videoarbeiten von Polina Kanis, wie hierarchische Machtstrukturen zwischenmenschliche Beziehungen verändern und pervertieren können.
Für ihre Ausstellung im Haus der Kunst hat Kanis erstmals eine immersive Drei-Kanal-Installation entwickelt. Damit erweitert sie ihre bisherige künstlerische Praxis, die aus Einkanalfilmen bestand. In The Procedure (2017) [Die Maßnahme] nimmt die Künstlerin ein fiktives Museumgebäude zum Ausgangspunkt ihrer Betrachtungen zu Zusammenhalt und Spaltung innerhalb einer Gemeinschaft. Nach der Beschädigung des Gebäudes durch eine nicht nachvollziehbare Katastrophe enden alle Klärungsversuche, was dem Gebäude widerfahren ist, mit derselben Antwort: „I saw nothing.” [Ich habe nichts gesehen.]
The Procedure dokumentiert die Regeln und Mechanismen, die im Zuge der Reparatur des Museumsgebäudes zustande gekommen sind. In der Abfolge der Szenen erfährt der Betrachter über die Abläufe in diesem abgeschlossenen System: Das Gebäude und der umgebende Wald bilden nun eine Sperrzone und Zugang zur Außenwelt wird erst nach einer routinierten Befragung und Leibesvisitation im Grenzbereich gestattet.
Am Beispiel dieses Mikrokosmos schildert Kanis die Schwellenzustände der Liminalität und Ausgrenzung mithilfe ihres typischen lakonischen Stils. Je mehr der Betrachter über die Logik und Konventionen dieses abgeschotteten Universums lernt, desto klarer wird es, dass die Katastrophe, die das Gebäude und seine Bewohner in den jetzigen Zustand getrieben hat, in Vergessenheit geraten ist: Das System steht nun vollkommen unter dem Zeichen der neu etablierten Maßnahme.
Polina Kanis hat ihr Studium an der Moskauer Multimedia-Kunstschule Schkola Rodtschenko (Rodchenko Art School) 2011 abgeschlossen. Im selben Jahr wurde ihr Video Eggs (2010) mit dem Kandinsky-Preis in der Kategorie „Beste Nachwuchskünstlerin“ ausgezeichnet. Im Januar 2017 trat Kanis das Residenzprogramm an der Rijksadademie van beeldende kunsten in Amsterdam an.
Kapsel 08 wird von Daniel Milnes kuratiert.