Anfang der 1960er Jahre wollte der junge Maler Markus Lüpertz seinen Gemälden Leben einhauchen, sie in Bewegung versetzen. Er fand zu einer seriellen Malerei, die stark von den Filmen und dem Kino seiner Zeit beeinflusst war. Der Essay von Pamela Kort ergründet die Anfänge dieser Art der Malerei.
Die schelmische Figur des Donald Duck war die erste große Bildserie, die Markus Lüpertz Anfang der 1960er Jahre auf die Leinwand brachte. Auf den drei abgebildeten Werken mit unterschiedlichen Motiven begann Lüpertz damit, einer Entdeckung nachzugehen, die er gemacht hatte, als er Säure auf Filmstreifen auftrug, und zwar, dass es möglich sein könnte, „Bilder ins Laufen zu bringen“. Auch wenn er vermutlich zuerst von Comicheften dazu angeregt worden war, darüber nachzudenken, was alles aus der frechen Disney-Figur herauszuholen wäre, unterstützten gewiss auch die animierten Donald-Duck-Filme die Entscheidung, seinen persönlichen Ansatz der Abstraktion mit diesem Motiv voranzutreiben. Lüpertz war sich sicherlich darüber im Klaren, dass Filme jeglicher Art Brüche im Zeit-Raum-Kontinuum verbergen, während die Panels der Comics diese Brüche mit ihrem als „Gutter“ bekannten Zwischenraum kenntlich machen. Darüber hinaus brauchen Trickfilme, anders als Comics, keine chronologische Entwicklung wiederzugeben oder irgendeine Geschichte zu erzählen. Lüpertz sollte später darauf hinweisen, dass er mit diesen ersten Gemälden eher so etwas wie den Bildablauf eines Daumenkinos erzeugen wollte, historisch der Vorläufer sowohl der Comics als auch der Cartoons. Diese Art von „Kino“ lag ihm besonders deshalb, weil es Bilder in Bewegung versetzte, ohne auf eine Kamera oder einen Tricktisch zurückgreifen zu müssen, also auf Hilfsmittel, die ihn als Maler nicht interessierten. Es war auch die Geschwindigkeit solcher animierter Bilder, die ihn in Bann schlug. Genau diese Qualität – die auch das Informel auszeichnet – wurde bald darauf zu einem Markenzeichen seiner seriellen Gemälde, die er nach eigenem Bekunden rasch und simultan auf die Leinwand brachte. Vielleicht war ihm auch der lateinische Wortbestandteil von „Animation“, anima, bewusst, der Seele oder Geist bedeutet. In diesem Sinne geht es also auch darum, unbewegten Dingen Leben einzuhauchen, was eines der obersten Ziele von Lüpertz’ Kunst bleiben sollte.
Vor mehr als dreißig Jahren drückte er es auf diese Weise aus: „Die Definition meiner Malerei ist, tote Formen zu beleben.“ Siegfried Kracauer hat dieses Streben mit der kinematografischen Sehweise in eins gesetzt. In seiner Theorie des Films (1960) heißt es: „Wir erwecken diese Welt buchstäblich aus ihrem Schlummer, ihrer potentiellen Nichtexistenz, indem wir sie mittels der Kamera zu erfahren suchen.“ Vor diesem Hintergrund gab er dem Band den Untertitel Die Errettung der äußeren Wirklichkeit. Obwohl Lüpertz das Buch nicht gelesen hat, entsprach die Vorstellung, dass Filme die „Realität einer anderen Dimension“ ins Leben rufen könnten, genau dem, was er selbst mit seinen Donald-Duck-Gemälden und den darauf folgenden Bildern bewirken wollte.
Wie funktionieren die Motive in diesem ersten Werkkomplex? Reflektieren wir zunächst die Behauptung des Künstlers, dass die fast abstrakten Bilder Donald Duck seien. Und doch sind sie von einer „Darstellung“ dieser Figur selbst weit entfernt, vielmehr nutzen sie ihren Namen, um einen Prozess in Bewegung zu versetzen, durch den – dank einer Beziehungen stiftenden Unähnlichkeit – Bedeutung erzeugt wird. Donald Duck steht hier sowohl für eine Figur, die einem Publikum des 20. Jahrhunderts vertraut ist, als auch für etwas, das noch nicht sichtbar ist, das sie präfiguriert. Für Lüpertz bedeutete das nichts weniger als eine Neubelebung der Malerei – ein heroisches Unterfangen, bedenkt man, dass diese Kunstform während der 1960er-Jahre als erschöpft galt.
Misstrauisch gegenüber dem Gewese, das in den frühen 1960er-Jahren um die „Avantgarde“ gemacht wurde, lehnte Lüpertz auch das Evangelium der Kunstwelt ab. Er suchte stattdessen nach einer Chiffre, mit deren Hilfe er jene einer subtilen Kritik unterziehen konnte, einer Chiffre, die für eine andere Art von Sakralität stand. Er fand sie 1963 in der urkomischen Figur des Donald Duck. Die Wunder, die dessen kinematografisches Bild ebenso wie das von Micky-Maus auf der Kinoleinwand vollbrachte, überbot nicht nur jene der Technik, sondern verspotteten sie zugleich. Schon deshalb hatten die Disney-Figuren längst den Status von Göttern, und zwar nicht nur bei Kindern.
Doch auf einem weiteren Gemälde, das Donald Ducks Heimkehr (1963) zu zeigen verspricht, erscheint die berühmte Ente fast bis zur Unkenntlichkeit abstrahiert. Auszumachen sind lediglich zwei aufgerissene Augen und die Umrisse dessen, was ein Schnabel sein könnte. Die Ente, die sich in all ihrer Farbenpracht unmittelbar vor dem Betrachter befindet, verkörpert das ästhetische Selbst Lüpertz’, will sie doch wie er unbedingt Grenzen überschreiten. Wer Donald Ducks Heimkehr näher betrachtet, erkennt, dass auch der Vogel bereits eine Grenze überschritten hat. Er ist nicht mehr gefangen in der virtuellen Realität des Films, sondern ist aus dem wie eine Leinwand leuchtenden Aufbau hinter ihm heraus- und in den Betrachteraum eingetreten; darin besteht gewissermaßen seine „Heimkehr“. Die Idee dazu könnte Lüpertz ebenfalls aus dem Kino haben: In seinem klassischen Stummfilm Sherlock Jr. (1924) schläft Buster Keaton als Filmvorführer während einer Vorstellung ein und träumt davon, dass er in die Bilder auf der Leinwand eintreten und wieder aus ihnen heraustreten könnte. Lüpertz’ neue Tendenz zur Abstraktion bestimmt auch seinen Umgang mit dem Logo von 20th Century Fox, das den Anstoß zu dem Bild gab. Wie später auch andere Motive des Kinos, hatte es sich ihm tief ins Gedächtnis gebrannt. Hier wird es in Fragmente umgewandelt: Die „20“ zerfällt in zwei Ziffern, die zu den Nullen der Augen werden. Der Sockel tritt plastischer hervor und befindet sich nun unter dem als Quadrat erscheinenden Entenkopf. Das Bauwerk, auf dem vormals die Ziffern prangten, ist zu einem Körper geworden. Alles andere ist verschwunden.
Das Signet von 20th Century Fox war für Lüpertz auch deshalb attraktiv, weil er dessen Camp-Eigenschaften schätzte. Man muss sich nur die Situation vorstellen, die der Künstler im Kino wieder und wieder erlebte: Das Saallicht wird gedimmt, langsam hebt sich der Vorhang, während die Leinwand allmählich aufstrahlt. Und dann erscheint die Visitenkarte des Studios 20th Century Fox, ihre monumentalen Buchstaben, die auf einer gigantischen Konstruktion in den Himmel ragen, umgeben von ins Jenseits gerichteten Lichtkegeln. Doch 1963 hatte Lüpertz aus dem Markenzeichen keine Pop Ikone gemacht wie zum Beispiel Edward Ruscha in Los Angeles, sondern es vielmehr völlig abgewandelt. Er verwendete es dann, um jenen beiden Arten von Malerei eine neue Wendung zu verleihen, die in der deutschen Nachkriegskunst und die gesamten 1960er-Jahre hindurch geradezu vergöttert wurden: einerseits die Malerei der École de Paris und des Informel, die beide zu dieser Zeit ihren Höhepunkt erreicht hatten, andererseits jene der Pop-Art-Künstler, deren Bilder gerade begannen, Berlin zu überfluten. Unter diesen war es Andy Warhol, dessen Kunst Lüpertz am meisten herausforderte. Seine 32 Campbell’s Soup Cans (1961/62) warben nicht nur mit einem Firmenlogo, sie bestanden auch noch aus 32 fast identischen Gemälden. Und selbstverständlich die Filme, die Warhol ab 1963 drehte, darunter Sleep (1963). Die Kunde von ihnen gelangte blitzschnell über den Atlantik und erreichte bald auch Deutschland. Lüpertz setzte in der Donald-Duck-Serie Stilelemente aus beiden Richtungen ein, anstatt sie einfach zu imitieren – einerseits den schwungvoll-gestischen Farbauftrag, andererseits die Verwendung eines Bilds aus der Populärkultur, eines Firmenlogos und eines seriellen Malerei-Ansatzes –, und begann so, sich als Künstler in der Arena der internationalen Malerei zu positionieren. Dank seiner raschen Auffassungsgabe erkannte Lüpertz, dass Film mittels Kadrierung, Rhythmus und Repetition manchmal eine Atmosphäre erzeugen kann, in der etwas „nicht von dieser Welt“ gegenwärtig zu sein scheint. Dasselbe könnte über die Ausübung religiöser Rituale oder das Dichten gesagt werden: In allen drei Praktiken werden bestimmte Objekte und Epochen herausgehoben und gelten als heilig. Und so suchte Lüpertz nach einem Begriff, der dieser Einsicht entspräche. Kurz darauf entschied er sich für das Wort „Dithyrambus“. Für Lüpertz war die Dithyrambe „ein poetischer Begriff, der zu Dionysos führte, also das Heidnisch-Hymnische enthielt, und vielleicht auch religiös war“. Dionysos interessierte ihn auch deshalb, weil er „der Gott der Ausnahme“ war. Nachdem Dionysos lange als Gott der Dichtung und Inspiration verehrt wurde, kam im Zuge der Desillusionierung durch die rationale Welt in den 1960er-Jahren das Interesse an der dionysischen Ekstase auf. Kurz, Dionysos hatte gerade den Zuschnitt des Gegenbilds, den Donald Duck ursprünglich für ihn besessen hatte.
Pamela Kort, externe Kuratorin der Ausstellung "Markus Lüpertz. Über die Kunst zum Bild" - bis 26.01.20 im Haus der Kunst zu sehen. Der Textbeitrag ist ein Auszug aus dem erschienenen Katalog zur Ausstellung.