Die Künstlerkartei des Hauses der Deutschen Kunst gehört zu den zentralen und meistgefragten Quellen aus dem Bestand unseres Historischen Archivs. Sabine Brantl erläutert in ihrem Blogbeitrag dieses Dokument, das digital auch in der Archiv Galerie einsehbar ist.
Die Kartei wurde bei der Erschließung der Archivbestände des Haus der Kunst entdeckt. In einem Kellerraum, wo ein „Gemüseputzraum“ für das Restaurant des Hauses der Deutschen Kunst eingerichtet war, befand sich seit der Nachkriegszeit eine bislang unbeachtete Ansammlung von Schriftstücken und diversen Gegenständen. 2004 wurde dieser Bestand von mir gesichtet und wissenschaftlich erschlossen. Als wir im Jahr darauf das Historische Archiv für die Öffentlichkeit zugänglich machten, war das Haus der Kunst eine der wenigen Kunstinstitutionen, die sich zu diesem Zeitpunkt mit ihrer eigenen Rolle im Nationalsozialismus auseinandersetzten. Waren Baugeschichte des Hauses der Deutschen Kunst und die Funktion von Kunst im NS-Staat im Allgemeinen von der Forschung bereits thematisiert und bearbeitet worden, so war die Frage, wie sich der Ausstellungsbetrieb hinter der Fassade von Kunst, Macht und Propaganda organisatorisch und ökonomisch gestaltet hatte, bis dahin weitgehend unbeachtet geblieben. Dokumente, die bei der Erschließung des Historischen Archivs aufgefunden wurden, stellen wichtige Quellen dar, um diesen Fragen auf den Grund gehen zu können.
2.486 Künstler*innen stellten, zum Teil auch mehrmals, zwischen 1937 und 1944/45 auf den „Großen Deutschen Kunstausstellungen“ im Haus der Deutschen Kunst aus. Die jährlich abgehaltenen Schauen galten als wichtigste Werk- und Verkaufsschauen „deutscher“ Kunst (vgl. hierzu meinen Blogbeitrag vom 06.04.2020). Voraussetzung für eine Bewerbung war die Mitgliedschaft in der Reichskammer der Bildenden Künste, die seit November 1933 für die Ausübung eines künstlerischen Berufs verpflichtend war und einer Zwangsmaßnahme gleichkam.
In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass sich Unterlagen, die die erste „Große Deutsche Kunstausstellung“ betreffen, weder im Archivbestand des Haus der Kunst noch anderer Institutionen befinden. Erst 1938 hatte man begonnen, Unterlagen systematisch anzulegen und zu führen.
Welche Erkenntnisse lassen sich nun aus der Künstlerkartei gewinnen? Wie gestalten sich die Rechercheprozesse mit dieser Ressource? Bei der Künstlerkartei handelt es sich um ein Konvolut von vorgedruckten Karteikarten im Format 15 x 21 cm. Bereits zu dem Zeitpunkt, als ein*e Künstler*in erstmals Bewerbungsunterlagen anforderte, wurde eine Karteikarte angelegt und darin Adresse des*der Bewerber*in und das Jahr der „Großen Deutschen Kunstausstellung“ maschinenschriftlich bzw. mit einem Stempel eingetragen. Wurden keine Arbeiten eingeliefert, so blieb auch die Karteikarte ohne weitere Eintragungen. Alle eingereichten Arbeiten wurden in der Reihenfolge ihres Eintreffens, getrennt nach den Sparten „Malerei“, „Graphik“ und „Plastik“ zuerst in Einlieferungsbüchern erfasst. Eingereichte Gemälde und Graphiken versah man auf der Rückseite mit einem Aufkleber, auf dem eine laufende Nummer, die Einlieferungsnummer, vermerkt wurde. Skulpturen und Plastiken erhielten ein beschriftetes Schildchen. Leider sind die Einlieferungsbücher nur noch vereinzelt ab dem Jahr 1941 erhalten. Aber die Einlieferungsnummern wurden auch in die Künstlerkartei eingetragen.
Ein Großteil der Anfragen an unser Historisches Archiv beziehen sich auf Gemälde und graphische Arbeiten, auf deren Rückseite sich noch ein Aufkleber einer der acht „Großen Deutschen Kunstausstellungen“ befindet. Aufgrund der hohen Anzahl an – meist von Privatpersonen gestellten - Anfragen kann davon ausgegangen werden, dass Kunstwerke aus dem Umkreis der „Großen Deutschen Kunstausstellungen“ auch nach 1945 in den Kunsthandel gelangt sind, vor allem wenn diese „unverfängliche“ Sujets wie etwa Landschaftsdarstellungen, Stillleben, Portraits oder bäuerliches Genre darstellen und nicht zur Ausstellung zugelassen worden waren. Anhand der Einlieferungsnummer lässt sich bei einem unsignierten Werk der Name des*der Künstler*in ermitteln. Darüber hinaus lassen sich noch weitere Informationen eruieren: so wurden Vermerke über Annahme bzw. Ablehnung sowie Verkauf in Symbolform von Hand eingetragen. Eine durchgestrichene Einlieferungsnummer bedeutet, dass die Arbeit abgelehnt wurde. Einkreisungen stehen für ein ausgestelltes Werk, ein Häkchen für ein verkauftes Exponat. Wurde die Einlieferungsnummer unterstrichen, so kam die Arbeit in engere Auswahl als Ersatz für ein Exponat, das in den ersten Monaten der Ausstellungslaufzeit eine*n Käufer*in gefunden hatte.
Anscheinend rechnete man auch mit der Einsendung von Arbeiten, die mit der nationalsozialistischen Kunstvorstellung nicht konform waren und als „entartet“ abgeurteilt wurden. Der Großbuchstabe „E“ oberhalb der Einlieferungsnummer vermerkt, sollte die Einsendung demensprechend deklassifizieren. Sucht man in der Künstlerkartei nach diesem Vermerk, finden sich nur wenige Eintragungen. So zum Beispiel auf der Karteikartei des heute weitgehend unbekannten Malers Georg Obenauer, der Ende der 1920er Jahre an der Münchner Kunstakademie studiert hatte. Ebenfalls mit einem „E“ vermerkt wurden fünf graphische Arbeiten, die 1943 von dem Maler und Bildhauer Alois Wünsche-Mitterecker eingereicht wurden. Ein mit Bleistift geschriebener Vermerk „SS-Div[ision] Wiking“ weist darauf hin, dass Wünsche-Mitterecker dieser 1940 aufgestellten Formation der Waffen-SS als Kriegsmaler angehörte.
Laut den Ausstellungsbestimmungen waren nur Künstler*innen zugelassen, die in Deutschland geboren waren. Dieses Aufnahmekriterium wurde 1938 nach dem „Anschluss“ Österreich und der Abtretung des Sudetengebietes durch die Tschechoslowakei an das Deutsche Reich erweitert. Auch konnten Künstler*innen, die im Ausland lebten, Arbeiten zu den „Großen Deutschen Kunstausstellungen“ einreichen. Deren Beteiligung fällt jedoch extrem gering aus, so gab es nur vereinzelt internationale Bewerbungen, so zum Beispiel aus Italien, Schweden, Dänemark, der Schweiz und den USA.
Auch der Anteil der Künstlerinnen, die sich für die Schauen bewarben, war verhältnismäßig gering und entspricht 15 Prozent der in der Kartei verzeichneten Namen. Der Frauenanteil auf den „Großen Deutschen Kunstausstellungen“ war sogar noch geringer und lag bei 9,3 Prozent. Diese Zahlen überraschen wenig, bedenkt man, wie der künstlerische Beitrag von Frauen bis weit in die Mitte des 20. Jahrhunderts im Kunstbetrieb wahrgenommen wurde und eine akademische Ausbildung und Berufsausübung lange Zeit nur eingeschränkt möglich war. So finden sich unter den 1.361 in der Kartei verzeichneten Frauen Künstlerinnen, die zu den ersten Frauen gehörten, die an deutschen Kunstakademien studierten. Die Porträt-, Blumen- und Landschaftsmalerin Fridel Dethleffs-Edelmann beispielsweise begann 1919 ihr Studium an der Badischen Kunstschule (heute Staatliche Akademie der Bildenden Künste) in Karlsruhe. Die Textilkünstlerin Irma Goecke war die erste Studentin, die an der Kunstakademie Düsseldorf aufgenommen wurde. Von 1941 bis 1966 war sie Künstlerische Leiterin der Nürnberger Gobelin Manufaktur, in der auch Gobelins für die Reichsparteitagsgebäude und SS-Unterkünfte herstellt wurden. Zu den „Großen Deutschen Kunstausstellungen“ reichte sie nur einmal, 1943, ein.
Insgesamt umfasst die Künstlerkartei des Hauses der Deutschen Kunst 9.073 Bewerber*innen, wovon in etwa 30 Prozent im Haus der Deutschen Kunst ausstellten. Die Kartei vermittelt daher ein wesentlich breiteres Bild über die in der NS-Zeit aktive Künstlerszene als z.B. die Kataloge der „Großen Deutschen Kunstausstellungen“. Vor diesem Hintergrund stellt sich die grundsätzliche Frage, welche*r Künstler*in – abseits der in diesem Kontext bereits bekannten Namen - sich für die „Großen Deutschen Kunstausstellungen“ bewarb und somit an der wichtigsten Schau nationalsozialistischer Kunstpolitik zu partizipieren suchte. Nicht selten geraten dabei biographische Konstrukte von Ablehnung und Widerstand, Diffamierung und Rückzug, Berufs- und Ausstellungsverbot ins Wanken. Gerade unter diesem Aspekt stellt die Künstlerkartei des Hauses der Deutschen Kunst eine wichtige Quelle für die Forschung zur Kunst und den Kunstbetrieb im Nationalsozialismus dar.
Sabine Brantl leitet die Stabstelle Geschichte am Haus der Kunst und verantwortet als Kuratorin die Ausstellungen in der Archiv Galerie. 2004 entwickelte sie ein Konzept für den Aufbau des Historischen Archivs des Haus der Kunst.