Ein Rundgang durch die Ausstellung "Brainwashed" im ehemaligen Luftschutzkeller im Haus der Kunst, in der die Mechanismen eines manipulierten Sehens und Fühlens sowie dadurch beeinflusste Rezeptionshaltungen in Erlebnisgesellschaften erfahrbar werden.
„Brainwashed“ widmet sich dem Phänomen des popkulturellen Mainstreams, das seinen Höhepunkt in den frühen 2000er-Jahren erreichte. Kennzeichnend für diesen Mainstream waren Medienformate wie Reality-TV, Hollywood-Filmproduktionen mit dem Anspruch ein globales Ereignis zu sein, eine von Selbstoptimierung beherrschte Werbebranche sowie ein mit zahlreichen Musikvideos international forcierter Starkult.
Die versammelten Künstlerinnen und Künstler legen kommerzielle Bildsprachen kritisch offen, ihre widersprüchlichen Verheißungen und Klischees. Die Werkauswahl aus der Sammlung Goetz macht Verknüpfungen von Wirtschaft, Medien und Politik mit dem Ziel, Menschen zu beeinflussen und Gewinn zu maximieren, sichtbar. Der Besucher betritt die einzelnen Kabinette im ehemaligen Luftschutzkeller im Haus der Kunst über den in kühles blaues Licht getauchten Flur. Nach dem ‚Wheel of emotions‘, das in der Werbung zum Einsatz kommt, ruft dieser Farbton Überraschung und Verwirrung hervor.
Bjørn Melhus
Der Rundgang beginnt mit Bjørn Melhus. In „The Oral Thing“ (2001) steht er als Moderator einer inszenierten Talkshow seinen eignen Klonen gegenüber. Zwei Geschwister artikulieren sich mit Kinderstimmen, und ihre Aussagen könnten einer durchschnittlichen amerikanischen Familientalkshow entstammen, in der private Konflikte öffentlich ausgetragen werden. Die Gäste wie auch der Moderator wiederholen sich stetig selbst. Die wiederkehrende Frage- und Antwort-Praxis lässt an Konzepte der psychologischen Manipulation denken. Melhus begibt sich mit Kleidung und Habitus in die Rolle eines Heilsbringers. Dem Zuschauer soll eine Form von Identifikation mit alltäglichen menschlichen Problemen suggeriert werden, um eine persönliche, emotionale Bindung zum jeweiligen TV-Format aufzubauen. Melhus führt seine Gäste nur zum Zwecke der Unterhaltung vor und dekonstruiert auf diese Weise das Reality-TV.
Cheryl Donegan
Cheryl Donegans Video „Head“ (1993) zeigt die Künstlerin selbst. Sie ist mit einem auffälligen, lilafarbenen Sport-BH bekleidet und versucht begleitet von lauten Pop-Rock-Klängen mit dem Mund immer wieder einen aus einem Behältnis strömenden Strahl Milch aufzufangen. Ihre Kussbewegungen und sexuell konnotierten Handlungen lassen die Szene ins Absurde driften. Donegan karikiert geläufige Vorstellungen einer devoten Frau, indem sie auf massenkulturell geprägte Bilder von Weiblichkeit und das Genre von Musik- und Work-out-Videos zurückgreift
Shana Moulton
Shana Moulton benennt mit „Whispering Pines 9“ (2009) den Ort, an dem sie aufwuchs, eine Wohnwagensiedlung in Kalifornien. Ihr Alter Ego Cynthia ist eine Sinnsuchende, die von der New-Age-Bewegung geprägt ist. Auf den Spuren eines Spiritualismus, der dort in den 1950er-Jahren seinen Ursprung hat, verdeutlicht die Figur Cynthia den Drang nach Selbstverbesserung in einer nunmehr kapitalistisch geprägten Gesellschaft.
Pipilotti Rist
Pipilotti Rist verbindet in „I’m Victim of this Song“ (1995) Erinnerungen an das Topmodel Helena Christensen am Strand aus Chris Isaaks Musikvideo „Wicked Games“ mit zufällig wirkenden Aufnahmen aus dem persönlichen Alltag. Zu dieser Kombination der zwei Bildebenen erklingt der Song von Kultstatus eine Spur langsamer. Wie wenig massenmediale Bilder, die sich in unser Unterbewusstsein eingeschlichen haben, mit unserem tatsächlichen Leben gemein haben, wird eindringlich veranschaulicht.
Ryan Trecartin
Die Techniken und Motive von Musikvideos – oder deren amateurhaftes Nachstellen im Privaten – wie schnelle Schnitte, frontale Nahaufnahmen und grelle Kostüme nutzt auch Ryan Trecartin, um die medialen Selbstdarstellungen und kulturellen Rollenzuschreibungen zu reflektieren. „What‘s the Love Making Babies for“ (2003) ist eine reizüberflutete Collage von digitalen und realen Bildern und Effekten, begleitet von lauten, abstrakten Sounds. Sie bildet die Folie für ein Gespräch, das um die Abschaffung von Geschlechtern kreist.
assume vivid astro focus
Binäre Geschlechtervorstellungen, wie sie vielfach in Musikvideos propagiert werden, unterwandert auch assume vivid astro focus. Der Song „Walking On Thin Ice“ ertönt hier in der schrillen Version des Transgenders Carla Machado. Junge Darstellende zelebrieren übertriebene Weiblichkeit. Sie zeigen sich spärlich bekleidet, sie schminken sich, singen, tanzen und flirten mit der Kamera und dem Publikum. Die einzelnen Sequenzen sind mit farblichen Verzerrungen und Überbelichtungen überblendet. So wird die Wahrnehmung der Darstellenden von verschiedenen sich überlagernden Schichten aus Realität und Simulation bestimmt. avaf parodieren die vermeintlich emanzipierte Popkultur des Millenniums.
Wolfgang Tillmans
Das Zwischenmenschliche blendet Wolfgang Tillmans hingegen vollkommen aus. Stattdessen rückt er das vereinnahmende Zusammenwirken von Musik und Licht in den Vordergrund. Zum schnellen Beat von Electro-House blitzen in „Lights (Body)“ (2000-2002) Lichtkegel auf. Das Geschehen auf der Tanzfläche bleibt jedoch unsichtbar. Als Orte einer alternativen Lebenskultur entwickelten sich die Technoclubs in den 1990er-Jahren immer mehr zu einem Massenphänomen, die Partys wurden zu wichtigen sozialen Ereignissen in Großstädten wie Berlin oder London.
Paul Pfeiffer
Einem wahren Idol des Pop nähert sich Paul Pfeiffer in „Live Evil (Bucharest)“, 2004. Er zeigt Michael Jackson bei der Ausführung seines Moon-Walks und verfremdet die Darstellung durch Dopplung und Spiegelung. So entsteht ein wortwörtlicher Zusammenschnitt von Jacksons medialer Repräsentation, durch den die reale Person dekonstruiert wird. Pfeiffer reflektiert die mediale Beeinflussung einer kollektiven Wahrnehmung.
Seth Price
Bei Seth Price‘s „Rejected or Unused Clips, Arranged in Order of Importance“ (2003) spricht die Stimme eines computerisierten Erzählers über die zunehmende Bedeutung von Religion in den USA.
Historische Aufnahmen von Kampfjets, Amateurfilme mit Szenen von körperlicher Gewalt und Schmerz, aber auch Katzenvideos werden Visionen von einer vermeintlich besseren Welt und technischen Entwicklungen gegenübergestellt. Der Künstler zelebriert das widersprüchliche Nebeneinander von Fakten, Glauben und Hoffnung in den uns alltäglich umgebenden Medien.
Ryan Gander
Mit Bildsequenzen aus dem Internet lenkt Ryan Gander in „Image of a Lightbulb (LAX)“ (2011) den Blick auf die Bilder- und Informationsflut des 21. Jahrhunderts. Mit seiner Auswahl von einem Smartphone-Fanporträt, den Ergebnissen einer Google-Suche oder Filmmaterial entfaltet sich ein fortwährender Strudel an Referenzen auf Pop- und Medienkultur, auf Privates wie Öffentliches. Er verleiht individualisierten Erzählungen aus Geschichte und Gegenwart, wie sie das Internet alltäglich verbreitet, Anschaulichkeit