Die derzeitige Ausstellung „Brainwashed“ in der Sammlung Goetz im Haus der Kunst widmet sich dem Phänomen des popkulturellen Mainstreams. Die versammelten Künstlerinnen und Künstler legen kommerzielle Bildsprachen kritisch offen, ihre widersprüchlichen Verheißungen und Klischees. Wir haben mit vier von ihnen über die Hintergründe und aktuelle Bezüge der in der Ausstellung gezeigten Videoarbeiten gesprochen.
Wolfgang Tillmans ist einer der bedeutendsten Künstler unserer Gegenwart, der die Grenzen des Mediums der Fotografie erforscht und gleichermaßen die uns alltäglich umgebene Umwelt. Bekannt wurde er in den 1990er Jahren mit Momentaufnahmen und Portraits, die vor allem die Subkultur und Clubszene dokumentieren. Im Jahr 2000 erhielt er als erster, nicht aus Großbritannien stammende Fotograf und Künstler den Turner-Preis, der jährlich in der Tate Britain vergeben wird.
Eindringlich erklingt in Wolfgang Tillmans Video Lights (Body) ein schneller Beat von melodischer Electro-House-Musik. Die gleich einer Offenbarung aufblitzenden Lichtkegel lassen einen Technoclub erahnen, das Geschehen der Tanzenden selbst jedoch ist nicht sichtbar. Detailaufnahmen von Scheinwerfern, sich in den Reflektoren spiegelnde Primärfarben und das sich auf einer Discokugel entfaltende Farbenspiel stehen im Fokus.
Als Orte einer alternativen Lebenskultur entwickelten sich die Technoclubs in den 1990er-Jahren immer mehr zu einem Massenphänomen, die Partys wurden zu wichtigen sozialen Ereignissen in Großstädten wie Berlin oder London. Wolfgang Tillmans blendet das Zwischenmenschliche in Lights (Body) aus, wobei die Abwesenden doch spürbar anwesend sind. Offensichtlich rückt der das Zusammenwirken von Musik und Licht vereinnahmend in den Vordergrund. Lustvoll wird der Ausstellungsbesucher mit Grundfragen körperlicher und visueller Wahrnehmung konfrontiert. Tillmans versetzt uns in die Rolle eines Clubgängers und überlässt jeden seiner eigenen Vorstellungen welche Begegnungen und Gefühle sich ereignen könnten.
Interview mit Wolfgang Tillmans
Haus der Kunst: In welchem Zusammenhang ist diese Arbeit entstanden? Was hat dich zu der Arbeit veranlasst?
Wolfgang Tillmans: Lights (Body), 2002, war das erste Video, das ich als eigenständige Arbeit ausstellte. In gewisser Weise ist es dieser sehr einfache Ausdruck des Wesens meiner Arbeit. Es wurde an einem Samstagabend auf einer wogenden Tanzfläche gefilmt, doch man sieht nur die mechanischen Bewegungen der Lichter. Es ist eine Studie über Licht und seine Abstraktion, aber es geht auch um all diese Körper, die unter den Lichtern tanzen. Die einzige Spur von Menschen sind die Staubkörnchen, die man manchmal durch die Lichtstrahlen fliegen sieht. Diese besondere Verbindung von Abstraktion und Sozialem zieht sich durch meine Arbeit ebenso wie das Thema "Licht", so entsteht im Video diese andere Dimension wie im Nachtclub selbst auch.
Haus der Kunst: Was bedeutet dir diese Arbeit?
Wolfgang Tillmans: Ich habe immer gedacht, dass eines der großartigen Dinge beim Betrachten von Kunst das Gefühl der Freiheit ist, sich mit den Augen und den Gedanken bewegen zu können. Das versuche ich in meinen Videoarbeiten beizubehalten, indem ich mich auf eine einfache Bewegung oder Geste konzentriere, die nichts Erzählerisches hat. Ein Nachtclub ist ein äußerst geselliger Ort: ein Treffpunkt, ein Ort des Austauschs von Ideen, des Knüpfens von Beziehungen und der Veränderung von Wahrnehmungen. Es ist außerdem ein Raum von wunderschöner Abstraktion.
Haus der Kunst: Welche Songs verbindest Du mit der Arbeit und ihrer Entstehungszeit?
Wolfgang Tillmans: Ich habe mit verschiedenen Soundtracks experimentiert und mich schließlich für den ‘Hacker Remix' von Don't be Light der Band Air entschieden, der sich wie ein fortlaufendes Intro eines Songs anhört, der nie richtig einsetzt. Es dreht sich alles um das Versprechen von Spannung und es deckt auch einige besondere Momente in der Geschichte der Clubmusik ab. Es könnte aus den frühen Achtzigern sein, es erinnert mich an den Beat von Blue Monday von New Order, aber es fällt auch in die Kategorie der Technomusik der 1990er Jahre, wie ein generischer Clubtrack.
Catherine Wood, Kuratorin für Zeitgenössische Kunst und Performance Kunst bei der Tate Modern, schreibt über die in "Brainwashed" ausgestellte Arbeit:
Der grazile Maschinentanz der sich bewegenden Glühbirnen und Spiegel von Lights (Body), wie Tillmans' Choreographie der Beleuchtung und des Videos in den Tanks, tauchte uns in zerstreute, rote, blaue, grüne und gelbe Strahlen und verwirrte uns in einem Raum aus Klang, Schimmer und Dunkelheit, in dem die Lichtlinie eines intelligenten Beleuchtungssystems die Schwärze durchschneidet und Staubpartikel innerhalb einer von Menschenhand geschaffenen, maschinell sublimierten Umgebung aus Tonsignalen und künstlichem Licht freilegt. In diesem dunklen Raum bewegte uns Tillmans von den Momenten des allgemein gefühlten Wiedererkennens im Obergeschoss - der Klarheit der Bilder der gesehenen Dinge und Menschen - hin zu einem anrüchigen Raum, einem Raum in dem Aufmerksamkeitsschwerpunkte, Verhaltensprotokolle, Blickwinkel, Sinn- und Identitätsfragen absichtlich und aufregend weniger klar waren. In dieser Umgebung schien der innere Raum der privaten Imagination auf die Außenwahrnehmung zu treffen. Man hatte das Gefühl, wir befänden uns in den Köpfen der anderen, in dem, was der Choreograf Boris Charmatz - im Gespräch über die Theaterbühne - als "geteilte Hirnschale" bezeichnet hat. Aber wir treten auch in einem gemeinsamen öffentlichen Raum auf, in dem wir uns vorübergehend, statt unsere eigenen Grenzen zu spüren, als Gestalten in einer kollektiven Umgebung ausmachen.
Auszug aus: Wood, Catherine: "Wolfgang Tillmans: Belichtung und ihr Schatten", in: "Wolfgang Tillmans: Belichtung und ihr Schatten", in: Today Is The First Day, exh. cat. IMMA, Dublin und Wiels, Brüssel, S. 44-55
Lights (Body) von Wolfgang Tillmans ist derzeit Teil der Ausstellung "Brainwashed" der Sammlung Goetz im Haus der Kunst, kuratiert von Jana Baumann.