Leonor Antunes, die im letzten Jahr den portugiesischen Pavillon auf der Venedig Biennale bespielte, ist mit ihren Arbeiten derzeit in der Gruppenausstellung „Innenleben“ vertreten. Anlässlich der Ausstellung hat sie eine Edition für das Haus der Kunst entwickelt, die in Kooperation mit der Porzellan Manufaktur Nymphenburg entstanden ist.
In ihren Arbeiten stellt Leonor Antunes imaginative Bezüge her: zu und zwischen den Biographien und Werken von Künstlerinnen und Künstlern sowie Architekten und Designern der Moderne. Dabei gilt ihr Interesse immer auch dem künstlerischen Produktionsprozess selbst: dem Ort der Entstehung der Werke, den lokalen Handwerkstraditionen aber auch den konkreten, an Herstellung der Arbeiten beteiligten Personen und Werkstätten.
Die Edition „a set of tools by Günter Löscher“ (die Leonor Antunes im Rahmen der Ausstellung „Innenleben" für das Haus der Kunst in Zusammenarbeit mit der Porzellan Manufaktur Nymphenburg realisiert hat) führt dieses Interesse als wesentlichen Kern ihres künstlerischen Schaffens vor Augen. Auf poetische Weise durchbricht die in Nymphenburg produzierte Skulpturenfolge aus Porzellan, ähnlich wie ihre in der Ausstellung gezeigten Arbeiten, die Grenzen von Kunst und Alltags-Design, von künstlerischem Genius und kollaborativer Handwerkspraxis.
Antunes Arbeitsweise ist an den Eigenschaften des jeweils verwendeten Materials ausgerichtet: ob in Holz, Messing, Kork, Leder oder Glas orientiert sich ihr künstlerisches Schaffen stark an den durch das Material vorgegebenen Regeln. Mit der Wahl der Porzellan Manufaktur als Inspirations- und Produktionsstätte ihrer Edition erweitert Antunes ihr Material-Repertoire, wobei sie in der Produktion dieser Edition auf die langjährige Erfahrung und das Spezialwissen der Kunsthandwerker*innen vor Ort zurückgreifen konnte. Der traditionsreiche Betrieb, in dem Porzellanobjekte bis heute in reiner Handarbeit gefertigt werden, inspirierte Antunes zu ihrer Arbeit.
Bei der Fertigung von Porzellanobjekten verzichtet Nymphenburg vollständig auf automatisierte Fertigungsprozesse. Vom Mischen der Porzellanmasse über das Herstellen der Formen, in die die Porzellanmasse später gegossen wird, bis hin zum filigranen Nachbearbeiten, Bemalen und Brennen der Objekte, wird jeder Arbeitsschritt in Handarbeit von einem für den jeweiligen Schritt eigens ausgebildeten Mitarbeiter ausgeführt, der schließlich auch auf dem fertigen Porzellanobjekt in Form seiner Initialen verewigt bleibt.
Die tradierten Formen des verkörperten Handwerkswissens und die Wertschätzung der Individualität innerhalb der standardisierten Arbeitsabläufe zogen Antunes` Aufmerksamkeit auf sich. Bei ihrem ersten Besuch in Nymphenburg erzählte ihr Günter Löscher, der Leiter der Formerei, dass viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Nymphenburg ihre für die eigene Arbeitspraxis nötigen Handwerkszeuge selbst herstellen. Günter Löscher, der seit 1975 im Betrieb beschäftigt ist, zeigte ihr seine sorgsam aufbewahrten Werkzeuge unterschiedlichen Materials, die er seiner individuellen Arbeitspraxis angepasst hatte, und die ihm seit Jahren gute Dienste leisteten.
Antunes` Edition ist, wie der Titel der Arbeit unterstreicht, einigen jener individuell gefertigten Werkzeuge Günter Löschers nachempfunden. Indem sie die filigranen Werkzeuge überdimensional vergrößert (eine bewusst übertriebene Umkehrung des Schrumpfungsprozesses, der beim Brennvorgang von Porzellan einsetzt) verlieren die Objekte ihren handwerklichen Nutzen und werden zum Kunstobjekt.
Bis zum fertigen „Porzellan-Skulpturen-Set“ waren verschiedene Arbeitsschritte notwendig. Zunächst modellierte die Formerei alle sechs Werkzeuge – stark vergrößert – in gut zu bearbeitender Porzellanmasse. Ausgehend von jenen Originalen wurden anschließend im Modellsaal entsprechende Arbeitsformen aus Gips hergestellt. In jene Formen konnte in einem nächsten Schritt flüssige Porzellanmasse gegossen werden, die die nach Trocknung und Nachbearbeitung der Oberflächen ca. 24 Stunden bei 1400°C gebrannt wurde. Nach dem Brennvorgang kamen die Porzellanobjekte in die Schleiferei zur Nachbearbeitung, um anschließend von den Porzellanmalern entsprechend der Original Werkzeuge bemalt zu werden.
In den fertigen eleganten Porzellan Skulpturen, die in einer maßgeschneiderten Textilhülle aufbewahrt sind, tritt die Form und materielle Beschaffenheit der ursprünglichen Werkzeuge – Holz und Metall –ebenso zu Tage wie die Gebrauchsspuren jahrzehntelanger Handarbeit, die Antunes auf diese Weise würdigt.
Dimona Stöckle ist kuratorische Assistenz am Haus der Kunst, unter anderem für die Ausstellung "Innenleben. Njideka Akunyili Crosby, Leonor Antunes, Henrike Naumann, Adriana Varejão". Die Zusammenarbeit der Künstlerin mit der Porzellanmanufaktur Nymphenburg sowie die Entstehung der Edition hat sie mit begleitet.
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