Die in dieser Serie vorgestellten Künstler*innen-Texte sind eine Hommage vier ehemaliger Student*innen des Künstlers und Hochschulprofessors Franz Erhard Walther. Auf poetische aber auch fragmentarisch-anekdotische Weise erzählen sie von prägenden Erinnerungen während ihrer Studienjahre, aber auch Sehnsuchtserfahrungen oder Lob und Unsicherheiten in der Findung der eigenen künstlerischen Sprache. Für uns blicken sie zurück auf ihre künstlerischen Anfänge.
als ich few kennenlernte, das war recht kurz nachdem dänemark überraschend die fußball-em gewonnen hatte. ich hatte gerade hamburg umwandert und dabei texte aufs diktiergerät gesprochen, beobachtungen, kommentare zum gesehenen, flüche auch, und dass der ganze lange spaziergang am stadtrand auch ein abschreiten der eigenen kleinstadtvergangenheit war, schien er zu ahnen, ohne darauf näher einzugehen. er wies mich stattdessen darauf hin, dass ein umwandern auch eine skulpturale handlung, eine formgebung sei und auch mein ganzes ich in den texten wohl das material sei. hä, wie jetzt?, dachte ich. zu meinen zeichnungen sagte er, sie gefielen ihm, denn sie seien unprätentiös. das war eine vokabel, die ich noch nicht kannte. schon tragisch, das einzige lob von few habe ich in dem moment gar nicht richtig kapiert. die sehnsucht nach anerkennung, etwas wie einem lob, kann in manchen hochschulmilieus so groß werden, dass sie taub macht für inhalte.
der inhalt, stoff, das paket, das da angeblich geschnürt, verschickt, geöffnet werden kann, das sind wunschvorstellungen, seltene glückliche fügungen. ich habe unendlich viel von dem, was mir gesagt wurde, von franz (und anderen), kluge gedanken, brauchbare begriffe, gute ratschläge, entweder erst mit ein paar jahren verspätung begriffen oder gar nicht hören wollen. manchmal war ich lange damit beschäftigt, die haare auf franz’ handrücken und fingern zu betrachten, während er meine zeichnungen durchblätterte, oder mit denen mitzufühlen, die sich überwunden hatten, ihre arbeit zu zeigen, und sichtlich überfordert waren mit der frage, was denn ihr werkbegriff sei. durch das parallele studium an der uni war mir ständig vor augen, wie wenig ich an der kunsthochschule lernte, und trotzdem habe ich den sinn meines studiums bei few nie angezweifelt. es war sogar so etwas wie die einzige konstante im kleinen wackeligen selbst, das umhersuchte. niemand würde sich je für meine kunst interessieren, war ich sicher, aber ich habe auch gründlich gelernt, dass es darum ganz und gar nicht gehen kann. es geht darum, nicht lauwarm zu sein, etwas nicht womöglich, sondern unbedingt sagen zu wollen und dass sagen auch heißt, sich mit der eigenen sprache auseinanderzusetzen und in einer art lebenslänglichem bereitschaftsdienst in allen, ja, allen alltäglichkeiten auch sich selbst als zu formenden kopf, körper und seelenwesen zu begreifen.
woher kommt die radikalität in den künstlerischen entscheidungen?
vielleicht aus der abstoßungsbewegung von der eigenen persönlichen geschichte, die unbedingt verlassen werden muss, wenn sich die kunstproduktion an potenziell alle richten soll, und dabei zu spüren, wie die kunst auf alle bereiche des eigenen lebens zurückwirken kann.
im unistudium hatte ich das alles kapiert und hatte nach fünf jahren alles wieder vergessen. was ich an der kunsthochschule überhaupt gelernt habe, hätte ich beim diplom kaum in mehr als 3291 zeichen (inkl. leerzeichen) fassen können, aber es begleitet mich mein ganzes leben lang, beruflich und privat.
few hätte es nie so formuliert, aber sinngemäß wiederholt und wiederholt:
dem kunstwerk ist streng verboten, nur schön in der ecke zu stehen; es soll etwas wollen können, denn sonst ist es nichts.
Peter Piller (*1968) wurde im hessischen Fritzlar geboren und ist seit 1990 wohnhaft in Hamburg. 2000 schloss er sein Kunststudium bei Franz Erhard Walther an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg ab. Von 2006 bis 2018 lehrte Piller als Professor Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. 2018 erfolgte der Wechsel an die Kunstakademie Düsseldorf, um die Klasse für Freie Kunst zu leiten und damit die Nachfolge von Andreas Gursky anzutreten. Für sein eigenes künstlerisches Schaffen legt Piller ein umfangreiches Foto-Archiv an, zu dessen Inventar unter anderem Fotoabbildungen deutscher Tageszeitungen gehören. Diese sortiert er nach Themengebieten und stellt sie mit subtilem Humor angereichert in Serien zusammen.
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