Die in dieser Serie vorgestellten Künstler*innen-Texte sind eine Hommage vier ehemaliger Student*innen des Künstlers und Hochschulprofessors Franz Erhard Walther. Auf poetische aber auch fragmentarisch-anekdotische Weise erzählen sie von prägenden Erinnerungen während ihrer Studienjahre, aber auch Sehnsuchtserfahrungen oder Lob und Unsicherheiten in der Findung der eigenen künstlerischen Sprache. Für uns blicken sie zurück auf ihre künstlerischen Anfänge.
Einen Text zu Franz, zu seiner Arbeit, seiner Lehre zu schreiben, bedeutet, sich mit Begriffen auseinanderzusetzen: Begriffen wie „Werkhandlung“, „Werkform“ und „Lagerform“, die er geprägt und überhaupt erst definiert hat und mittels derer sich sein Denken wie auch seine künstlerische Position artikulieren. Bevor ich 1999, also vor der Allgegenwärtigkeit des Internets, als Kunststudentin an der Hochschule für bildende Künste Hamburg mit der eigentlichen Kunst von Franz in Berührung kam, traf ich in seinen Arbeitsgesprächen auf Begrifflichkeiten, die mir in der fremden und reizvollen Kunstwelt wie eine Orientierungshilfe erschienen.
Dass es Begriffe waren, die für mich den Ausschlag gaben, bei Franz studieren zu wollen, ist einerseits logisch und gleichzeitig paradox. Das Paradox liegt dabei darin, dass in meinem Elternhaus die Gültigkeit und Qualität einer Aussage oder Entscheidung anhand ihrer sprachlichen und logischen Argumentierbarkeit bewertet wurde. Die Anziehung, welche die Kunst – oder genauer: das Machen von Kunst, das Künstlersein – auf mich ausübte, gründete nicht zuletzt darin, dass diese sich legitimerweise einer logischen Argumentation entzog oder gar entgegenstellte. Dabei bezweifelte ich nie, dass künstlerische Entscheidungen keinesfalls beliebig sind, sondern einer Art von innerer Überprüfung, die außerhalb der Sprache erfolgt, standhalten müssen.
Für mich waren Kunst-Machen und Kunst-Erklären ein Widerspruch, aber ich brauchte Sprache, um mich in dem "System Kunst" zurechtzufinden, auch wenn ich von Beginn an darauf aus war, meine innere Stimme zu stärken.
Franz argumentiert in seiner Arbeit mit sprachlichen Mitteln, aber er verlässt nie die Perspektive des bildenden Künstlers. Seine Kunst wendet sich nicht ab von der Alltagswelt, sie erweitert diese. Meine eigene Kunst speist sich aus urbanen Landschaften, psychosozialen Zuständen der Interaktion, Pop- und Subkultur.
Industriebrachen, leere Ladengeschäfte, Baustellen und Neubauruinen faszinieren mich als Orte, an denen beabsichtigte und absichtslose Gestaltung ineinandergreifen. Es sind Orte in einem Zwischenzustand, an denen sich ökonomische Bedingungen und politische Ereignisse in die Erscheinungsbilder von Städten eingeschrieben haben – beispielsweise indem Protestkulturen durch Mode, Werbung und Schaufensterdekorationen dem kommerziellen Kreislauf einverleibt werden.
Das Moment der Potenzialität und auch der Widersprüchlichkeit ist diesen Phänomenen immanent, und es war für mich schon immer ein „Schlüsselreiz“. Rückblickend erkenne ich hierin den Grund für die Resonanz, die Franz’ Werk und Lehre bei mir erzeugen.
Seine künstlerische Praxis schließt verschiedene Werkzustände ein, die einander in ihrer Gültigkeit ebenbürtig sind. Die Dimension der Möglichkeit ist Teil des Werks. Viel klarer als damals im Studium ist mir heute bewusst, in welchem Maße Franz’ Arbeit gerade aufgrund dieser Dimension der Möglichkeit die Utopie einer neuen Gesellschaft in sich birgt.
Seine Arbeiten werden aktiviert durch das Menschliche – sie sind, indem sie das Moment der Zeit, der Handlung, des Ephemeren miteinschließen, in all ihrer Klarheit und formalen Entschiedenheit ein Plädoyer gegen das Monumentale, das Ewige und das vermeintlich Unverrückbare.
"Eine Handvoll Gips, die ich in den Raum werfe - das ist eine Skulptur." (Aus der Erinnerung wiegegebendes Zitat Franz Erhard Walthers aus einer Arbeitsbesprechung.)
Stef Heidhues (*1975) ist in Washington D.C., USA, geboren und lebt in Berlin. An der Hochschule für Bildende Künste Hamburg studierte sie von 1999 bis 2005 Freie Kunst bei Franz Erhard Walther. Ihre Arbeiten entwickelt sie in Anlehnung an urbane Kontexte, Gebrauchsobjekte und in Auseinandersetzung mit sozialen Räumen, aber auch psychischen wie körperlichen Zuständen. Im Ausstellungsraum werden die eigenständigen Skulpturen bewusst so angeordnet, dass sich ihre Linien und Flächen in einem dynamischen Verhältnis zueinander befinden und gar räumliche Zeichnungen entstehen lassen.
Lesen Sie weitere Künstler*innentexte dieser Serie von Peter Piller, John Bock und Christian Jankowski.