Die in öffentlichen Archiven aufbewahrten Dokumente queerer Geschichte werden meist bis weit in die Nachkriegszeit als eine Geschichte von gesellschaftlicher Tabuisierung, Pathologisierung, Kriminalisierung und Verfolgung gelesen. Mit der Ausstellung alternativer Quellen aus dem privaten oder subkulturellen Bereich eröffnet die Archiv Galerie eine neue Perspektive.
Ab November 2021 stellt die Archiv Galerie im Rahmen der Reihe „Archives in Residence“ zahlreiche Dokumente der lesbischen, schwulen, bi*, trans* und inter* Münchner Geschichte und Kultur vor. Die Archivalien aus dem Bestand des Forum Queeres Archiv München e.V lassen auf alternative Gesellschaftsentwürfe schließen, die das heteronormative Konzept von Geschlecht, Identität und Sexualität erweitern.
Eine Videoaufnahme dokumentiert die erste Christopher Street Day-Parade in München. Zwar mutete das Geschehen leise an, doch verschafften sich deren Teilnehmende erstmals Sichtbarkeit im Stadtbild und wurden von Passanten am Straßenrand teils skeptisch beäugt. Die in den 90er-Jahren akute Aids-Krise führte zu massiven schwulenfeindlichen Entwicklungen, zu der die schwul-lesbische Bewegung mit Kampagnen wie „Schwul – na und?“ eine produktive Gegenöffentlichkeit mobilisierte.
Neben Aufnahmen von lokalpolitischen Ereignissen und ihren Akteur*innen sind in der Archiv Galerie Objekte aus dem privaten, subkulturellen Bereich zu finden. Ein Schild mit der Aufschrift „Max & Milian“ repräsentiert den gleichnamigen, 1989 in München gegründeten Buchladen, der sich mit seinem Angebot an eine schwule Zielgruppe richtete. Die Ausstellung gewährt den Besucher*innen einen Einblick in die persönlichen Erinnerungen an Hochzeiten, Faschingsveranstaltungen, an Club- oder Kneipenabende bis hin zu Fetisch-Events bekannter Personen der queeren Szene wie Kristen Nielsen, Cosy Pièro und Schwester Lucretia. Abbildungen von der „Walpurgisnacht“ in den 1980er-Jahren erzählen von der Selbstermächtigung von Frauen, davon, wie sie die Nacht als öffentlichen Raum erobern. Ein Fotoalbum aus den 1930er-Jahren ist nicht nur ein biografisches Souvenir unzähliger Reisen und zarter Momente des Verliebens und der Freundschaft. Das Album, auf dem Flohmarkt gefunden und für das Forum angekauft, ist zugleich Teil einer übergeordneten Botschaft. Es erinnert daran, wofür es sich zu kämpfen lohnt: für das Recht, sein eigenes Leben zu leben, sich frei zu entfalten und offen zu zeigen, dass Liebe keine herkömmlichen Grenzen kennt.
Die Ausstellung „Archives in Residence: Forum Queeres Archiv München e.V.“ ist vielstimmig angelegt. Ausgewählte Exponate werden mit Audio- und Videointerviews von Akteur*innen des Forums sowie Personen vermittelt.
Kuratiert von Sabine Brantl